Der Schimmelreiter – Dichtung und Wirklichkeit

Reimer Kay Holander sprach im Nordfriesischen Sommer-Institut

BREDSTEDT (NfI).

Der Schimmelreiter Hauke Haien ist im Alltag in Nordfriesland angekommen, und das ist gut so. Zu diesem Resümee kam der Schriftsteller Reimer Kay Holander in seinem Vortrag „Der Schimmelreiter – Dichtung und Wirklichkeit. Hauke Haien – ein nordfriesischer Nationalheld?“ im Bredstedter Nordfriisk Instituut. Die moderne Literaturwissenschaft sieht in der von Theodor Storm widersprüchlich angelegten Gestalt des Hauke Haien „eine verschlossene, einsame Gewaltnatur“ und ein Symbol für „die Rücksichtslosigkeit, die Werkbesessenheit, den übertriebenen Ehrgeiz und den menschenverachtenden Fanatismus“ in der wilhelminischen Gründerzeit, so Holander, der bis 1986 über zwei Jahrzehnte als Lektor und Geschäftsführer des Nordfriisk Instituut tätig war.

Schon vom späten 19. Jahrhundert an wurde der unheimliche Deichgraf von völkisch orientierten Autoren aber auch gedeutet als – angeblich typisch friesische – „Herrschernatur“, die zum Besten des Volkes den „Herdenmenschen“ ihren Willen aufzwingt. Dass die „Herde“ in Storms Novelle, nämlich die zum Deichbau gepresste Koogsgemein­de, auch aus Friesen bestand, sei dabei, das hob Holander hervor, offenbar aus dem Blick geraten.

Viele Menschen in Nordfriesland interpretierten Hauke Haien, so Holander, als Nationalhelden, in dem sich die große Leistung der friesischen Vorfahren bei Deichbau und Küstenschutz symbolisierten. Dabei, so seine These, war Initiative und Verantwortung bei den Bedeichungen seit dem Mittelalter immer stärker von der friesischen Küstenbevölkerung auf Könige und Herzöge, auf auswärtige Unternehmer und schließlich auf den modernen Staat übergegangen. Gleichwohl könne er nachvollziehen, dass auch bei den heutigen Friesen ein Bedürfnis nach Indentifikationsfiguren bestehe, und der Deichgraf Hauke Haien biete sich offenbar nach wie vor dafür an.

Holander erarbeitete vor weit mehr als zwei Jahrzehnten als erster eine ausführliche Studie über die Hintergründe der Stormschen Novelle in der regionalen Realität Nordfrieslands. Das Buch wurde nun vom Nordfriisk Instituut unter dem Titel „Der Schimmelreiter – Dichtung und Wirklichkeit“ in einer verbesserten und aktualisierten Neuausgabe vorgelegt. In seinem Vortrag betonte er abschließend, dass sich der Umgang mit Hauke Haien deutlich entspannt habe. Alle seien willkommen, „im Lande des Schimmelreiter“ Urlaub zu machen, Präsentationen des Werkes in Versen, auf Plattdeutsch, als Bildergeschichte für Kinder oder in einer der zahlreichen anderen inzwischen vorliegenden Formen zu genießen und sich unter einer ganzen Reihe mit diesem Namern geschmückten leiblichen Genüssen auch eine „Gurkensuppe à la Schimmelreiter“ schmecken zu lassen.

Nordfriisk Instituut, 21. August 2003 - Text: Fiete Pingel


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