Nordfriesland und die Friesen

Zwei Faktoren haben die Wirtschaft Nordfrieslands geprägt Zum einen ist es die Vielfalt des Landes, die sich in den verschiedenen Naturräumen wie Inseln und Halligen. Dünen und Watt, Marsch und Geest genauso zeigt wie in der mannigfaltigen Kulturlandschaft, bestimmt durch das Aufeinandertreffen dänischer, deutscher und friesischer Einflüsse. Zum anderen wird die Wirtschaft geprägt von der Küstenlage Nordfrieslands. Die See und das Land waren und sind ihre wichtigsten Grundlagen.

Woher kommen eigentlich die Friesen

Thomas Steensen, Leiter des in Bredstedt ansässigen Nordfriisk Instituut und inzwischen auch Honorarprofessor für Friesisch an der Bildungswissenschaftlichen Universität in Flensburg, in der Broschüre "Wer sind die Friesen?" mit 27 Fragen und Antworten zur nordfriesischen Geschichte, Sprache und Kultur: Die Wurzeln der Friesen verlieren sich irgendwo im Dunkeln der Geschichte. Steensen ist überzeugt davon, daß die Friesen "seit eh und je an der südlichen Nordseeküste" wohnten. Die römischen Autoren Plinius und Tacitus berichteten zuerst vom Volk der Friesen. Der Leiter des Instituts geht im übrigen davon aus, daß es sich bei diesen "Frisii" möglicherweise ursprünglich um ein nichtgermanisches Volk handelt. Erst im Laufe der Jahrhunderte wurden sie teils selbst germanisiert, oder sie haben ihre eingedrungenen germanischen Mitbewohner auch "frisiiert".

Heute leben die meisten Friesen, etwa eine halbe Million, in Westfriesland in der Niederlanden. Etwa 400.000 Menschen sprechen dort friesich. Dann gibt es noch die in drei Dörfern friesischsprechenden Saterfriesen in Niedersachsen sowie die etwa 350.000 Ostfriesen in Osfriesland und Oldenburg, deren friesische Sprache allerdings schon längst ausgestorben ist. Ihre Volkssprache ist Niederdeutsch, beruhend auf einer friesischen Grundschicht. Und weit ab im Norden, in Schleswig-Holstein leben 50.000 Nordfriesen im friesischen Wohngebiet, das aus sechs Inseln und zehn Halligen sowie einem Küstenstreifen auf dem Festland zwischen dem Fluß Eider und der Wiedau an der heutigen deutsch-dänischen Grenze.

Friesen gibt es allerdings überall auf der Welt. In zwei Städten dieser Welt, nämlich in Petaluma (Kalifornien) und New York, sollen mehr Föhringer leben als auf Föhr im größten Ort. Der wohl berühmteste Friese verdankt seine Popularität allerdings der Werbestrategen einer Zigarettenmarke: der Friese Peter Stuyvesant, der einer der Gründer der Stadt New York war. Andere "berühmte" Friesen sind der Geschichtsprofessor, Politiker und Literaturnobelpreisträger Theodor Mommsen, Verfasser der "Römischen Geschichte", der Philosoph und Pädagoge Friedrich Paulsen aus Langenhorn und der Soziologe Ferdinand Tönnies aus Oldenswort. Im politischen Bereich taten Uwe Jens Lorensen (Keitum/Sylt), der für eine liberale Verfassungsreform in Schleswig-Holstein eintrat, und der weltweitgereiste für die Freiheit der Völker sich einsetztende Revolutionär Harro Harring aus Wobbenbüll hervor. Auf christlichem Gebiet gab es Christian Jensen aus Fahretoft, der u. a. in Indien, China und Ostafrika tätigen Breklumer Mission gründete, sowie Ingwer Ludwig Nommensen aus Nordstrand, der als Missionar der Batak in Indonesien bekannter war als in seiner Heimat.

Der Kreis Nordfriesland umfaßt gut 2.000 Quadratkilometer - mit 73 Einwohnern je Quadratkilometer gehört er zu den am dünnsten besiedelten Regionen in Deutschland. Der friesische Siedlungsraum ist allerdings um ungefähr ein Drittel kleiner als der heutige Kreis Nordfriesland.  Zur See hin war das friesische Siedlungsgebiet früher, da die heutigen Wattflächen früher, bevor die zerstörischen Sturmfluten 1362 und 1634 einsetzten, größtenteils von Friesen bewohnt und bewirtschaftet wurden. Durch die Jahrhunderte veränderte sich die Größe Nordfrieslands im ständigen Wechsel von Landgewinn und Landverlust. Paradoxerweise waren es wiederum die Sturmfluten, die am meisten dazu beitrugen, daß sich Sedimente im Vorland ablagerten und so das Land aufhöhten. Durch Anlegen von Lahnungen wurde im vorigen Jahrhundert damit begonnen, sich diesen Prozeß zunutzezumachen, um eindeichungsreiches Land zu gewinnen. Zahlreiche Köge sind bis in heutige Zeit entstanden. Dieser Prozeß ist jedoch heute weitgehend zum Stillstand gekommen. Landgewinnung wird aus ökologischen Gründen  im großen Stil nicht mehr betrieben.

Wirtschaftsregion Nordfriesland

Die Friesen waren früher vor allem als seefahrende Kaufleute bekannt. Sie galten im hohen Mittelalter als das Händlervolk schlechthin. "Ihr" Meer, die Nordsee, wurde noch bis ins späte Hochmittelalter Mare Frisicum, Friesisches Meer, genannt. Friesische Kaufleute betätigten sich als Mittler zwischen Nord und Süd, aber auch zwischen West und Ost weit in den Ostseeraum hinein. Die Hanse erst lief den Friesen den Rang ab.

Im 17. und 18. Jahrhundert bescherte die Seefahrt besonders den Friesen auf den Nordfriesischen Inseln ihre eigentliche wirtschaftliche Blütezeit. Hier fuhr fast die gesamte männliche Bevölkerung zur See, um sich ihr Einkommen durch Walfang und Robbenschlag im Nordmeer oder auch nur durch die  Handelsfahrt zu verdienen. Die Schiffe, die von Hamburg, den Niederlanden oder Kopenhagen aus in See stachen, waren überwiegend mit Föhrern, Syltern, Amrumern und Halligleuten besetzt. Die theoretischen Kenntnisse dafür eigneten sich die Seeleute in ihren eigenen Navigationsschulen an.

Die Küstenfischerei spielte damals noch keine Rolle. Nur für den Eigenbedarf wurden "Porren", Plattfischen Aale und andere Köstlichkeiten aus dem Wattenmer oder in den Binnengewässern gefangen. Der eigentliche Krabbenfang in Tönning oder Husum zum Beispiel wurde erst in großem Umfang gewerbsmäßig betrieben werden, als die Erschließlung der Verkehrswege, vor allem die Eisenbahn für einen schnellen Transport in die Ballungsgebiete sorgte.

Während die Seefahrt fast ganz auf die Friesen der Inseln sowie der Halligen beschränkt war, stellte die Landwirtschaft die wichtigste Lebensgrundlage der Friesen auf dem Festland dar. Die erste Erwähnung der Friesen in den lateinischen Quellen des Römerreichs gibt schon einen Hinweis darauf: Als der römische Feldherr Drusus sie im Jahre 12 v. Chr. unterwarf, mußten sie Rinderhäute als Tribut liefern. Die fruchtbare Marsch ließ eine blühende Landwirtschaft entstehen. Die Erzeugnisse wurden in großem Stile exportiert. Im Jahr 1610 gingen beispielsweise laut Steensen drei Millionen Pfund Käse über die herzogliche Waage in Tönning. 1876 wurden vom Tönninger Hafen aus ungefähr 50 000 Rinder und 60 000 Schafe nach Großbritannien ausgeführt (HN 20. 4. 1996).

Ermöglicht wurde die florierende Landwirtschaft seit dem elften, zwölften Jahrhundert durch den Bau von Deichen, die das Marschland dem Zugriff des Meeres entzogen. Im Laufe der Jahrhunderte entstand ein geradezu monumentales Küstenschutzwerk. Die Deichlinien insgesamt erreichen inzwischen mehrere Hundert Kilometern. Schwere Sturmfluten waren die Wirtschaftsgeschichte Nordfrieslands wichtiger waren als etwa kriegerische Ereignisse.

Lebten in der Marsch vielmals wohlhabende, manchmal sogar reiche Bauern, so war auf der Geest nur eine kärgliche Landwirtschaft möglich. Erst die Kultivierung der weiten Heideflächen, Verbesserungen in der Landbewirtschaftung und Flurbereinigung brachten hier Fortschritte.

Die Volltechnisierung der Landwirtschaft ließ allerdings die Zahl der in der Landwirtschaft Beschäftigten stark zurückgehen. Noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts arbeiteten in Nordfriesland etwa zwei Drittel der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft, 1925 knapp die Hälfte, 1960 ein Drittel, heute nicht einmal mehr jeder elfte. Der Agrarbereich in Nordfriesland ist dennoch bedeutsamer als im übrigen Schles­wig-Holstein. Die Vier Fünftel der Gesamtfläche werden von 3800 Betrieben landwirtschaftlich genutzt. 260 000 Rinder, 190 000 Schweine und 100 000 Schafe werden gehalten (HN 20.4.1996).

Schon lange hat der Tourismus den Agrarbereich als bedeutendsten Wirtschaftszweig in Nordfriesland überflügelt. Als der Fremdenverkehr 1819 begann, konnte man in Wyk auf Föhr 61 Badegäste begrüßen. Als dieses erste Seebad an der "Westsee" Schleswig-Holsteins 1994 sein 175jähriges Jubiläum feierte, zählte man 105 000 übernachtende Gäste, Jährlich kommen in der Gegenwart etwa eine Million Touristen nach Nordfriesland und übernachten hier rund zehn Millionen Mal. Westerland Seebad seit 1855), St. Peter-Ording (seit 1877) und Wyk zählen zu den bedeutenden Fremdenverkehrsorten in Deutschland; fast alle leben hier in der einen oder anderen Weise vom Tourismus.

Kaum eine andere Entwicklung hat das soziale und wirtschaftliche Gefüge besonders auf den nordfriesischen Inseln so stark verändert wie das Aufkommen des Fremdenverkehrs. Gewarnt vor der Entwicklung wurde schon immer. So für Föhr im Jahre 1826: "Möchte nur durch die Badeanstalt keine Neuerungs- und Modesucht nach unserem einfachen Insellande verpflanzt werden! Wahrlich, die fürchten wir mehr als eine Sturmflut." Seit den 30er Jahren setzte mit der Entwicklung des Schiffahrtverkehrs und des Dammbaus nach Sylt ein ungezielter und ungebremster Massentourismus ein der erst seit den 80er Jahren durch die Ökologiebewegung gestoppt wurde. Es werden jetzt eher Konzepte für einen umweltverträglichen Fremdenverkehr umgesetzt.

"Innovation" ist in der Wirtschaftsgeschichte Nordfrieslands häufig von außerhalb eingeleitet worden. In der neueren Zeit waren es zum Beispiel Zugewanderte, die sich für die landschaftlichen Reize begeisterten, die Seebäder gründeten. Besonders bedeutsame Neuerungen von Niederländern wurden nach Nordfriesland verpflanzt, so in der frühen Neuzeit die Milchwirtschaft in Eiderstedt oder neue Errungenschaften des Deichbaus eingeführt. Die Verbindungen mit den Niederlandfen und der südlichen Nordseeküste ist für Nordfriesland mehrfach von außerordentlicher Bedeutung gewesen.

Das Handwerk Nordfrieslands war traditionell nur schwach vertreten. Industriebetriebe entwickelten sich nur in sehr kleiner Zahl und erst spät; die Region lag zu weitab von notwendigen Rohstoffen und Bodenschätzen und war zudem nur dünn besiedelt. Thomas Steensen zeigt in seinem Artikel über die Wirtschaftsentwicklung Nordfrieslands anhand zweier Beispiele für die Eigeninitiative einzelner Unternehmer: "In Bredstedt baute Bruno Preisler eine Tabakfabrik mit bis zu 200 Beschäftigten auf; Millionen Zigarren wurden bis in die 1950er Jahre aus der kleinen Stadt in viele Teile Deutschlands versandt. Die Druckerei Clausen & Bosse in Leck entwickelte sich nach dem Zweiten Weltkrieg aus kleinsten Anfängen zu einem der größten Druckbetriebe Europas; bis zu 350 000 Taschenbücher werden hier täglich hergestellt." (HN. 20.4.1996)

Der Anteil des warenproduzierende Gewerbe ist in Nordfriesland mit etwa 20 Prozent verhältnismäßig gering gegenüber 40 Prozent im Bundesdurchschnitt. Die Erzeugnisse des Landes werden großenteils außerhalb weiterverarbeitet. Die größte angelieferte Milchmenge wird nicht in Nordfriesland, sondern in Großhackstedt in der Nähe von Flensburg verarbeitet. Der Betrieb, der vorwiegend den Nordfriesländer Käse herstellt, gehört inzwischen der Adelbyer Meierei. Doch auch eine Gegenbewegung gegen die Konzentration und Verlagerung nach außerhalb setzte ein. So wurde auf Pellworm 1994 die Inselmeierei wiedergegründet, die allerdings zur Zeit (Oktober 1999) wieder zum Verkauf steht. Es wird wieder für heimische Erzeugnisse geworben, so für den berühmten nordfriesischen Schafkäse. Auf Nordstrand finden seit 1989 "Salzwiesenlämmertage" statt.

Neben geringem "Industrialisierungsgrad" wird die "Verkehrsferne" Nordfrieslands oft als ein ökonomischer Negativfaktor genannt. In historischer Perspektive ist dies jedoch zu relativieren. Denn in früheren Jahrhunderten stellte der Seeverkehr die wichtigste Transportart dar. Erst die Verlagerung des Verkehrs auf das Land, auf Straßen und Schienen, sowie die Abtrennung von Dänemark im letzten Jahrhundert begründete die Randlage Nordfrieslands. Doch im Zeitalter der "Datenautobahnen" lassen manche ihrer Nachteile wieder zum Vorteil umkehren. Im übrigen führte die periphere Lage Nordfrieslands dazu, daß daß es als Region über viele Vorzüge verfügt wie die immer noch einigermaßen intakte Naturlandschaft mit Orten, in denen noch die vielfältige historische entstandene Kulturformen anzutreffen sind.

Quellen: Husumer Nachrichten 20. 4. 1996 und Moin Moin, Sommerausgabe 1999

Hans-Jürgen Hansen (Stand: 24. Oktober 1999)

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