Fangen wir mit jenen an, die für mich relativ neu waren: Nietzsche, Stirner, Heidegger, Sartre, Adorno, die Trieblehre von Bloch, die auch in einigen Seminaren behandelt wurden und die auf mich eine eigenartige Faszination ausübten. Wie ist dieses Sammelsurium von Gedanken nur wieder zusammenfügen? Vielleicht fange ich bei mir selbst an und verkünde erst einmal meine eigene Philosophie. Als ob es aber noch eigene Gedanken noch geben könnte, ich habe sie also auch irgendwoher.
1. Unterscheidung Moral - Normen. Moral ist dem Ich, Normen sind dem Über-Ich zuzuschreiben. Der kategorische Imperativ kann nicht so streng und absolut gesehen werden, da er sich nur auf die Moral des Einzelnen bezieht.
Zur Akzeptierung von Normen gehört die innere Einsicht. Die Einverleibung ins Ich einer Person erfolgt aus dem Über-Ich. Die uns von außen vermittelten Normen wurden früh über Erziehung, Eltern, Schule usw. eingetrichtert, eindressiert. Das autonome Ich (Subjekt) verinnerlicht die Sinnhaftigkeit allgemeingültiger Normen über Reflexion und Erfahrung.
Das Handeln jedes Einzelnen entscheidet praktische Klugheit, eine Haltung, die sich im Rahmen seiner persönlichen Moral, verinnerlichter allgemeingültiger Normen oder sonstiger Gepflogenheiten bewegt.
2. Gutes Leben und die Wissenschaft. Was führt eigentlich zum guten Leben? Hilft da die Wissenschaft? Die Wissenschaft brachte uns die die Technik, sie war aber bisher nicht in der Lage, uns vor den Folgen der Technik zu schützen bzw. der Naturzerstörung Einhalt zu gebieten.
Die Wissenschaft zwängte uns ein bis zu Unbeweglichkeit, schmiedete unser Korsett. Wir begehen eingelaufene Bahnen, begehen sie immer wieder, bis wir nicht mehr gehen können.
Sehen wir um uns. Was ist eigentlich Natur? Was machen wir eigentlich noch natürlich? Warum flüchten einige, die sie ziemlich schlau meinen, in das anscheinend naturhaftes Leben?
Es steht fest, ohne Technik, ohne Kultur, ohne die erste Natur überstülpende zweite Natur wären wir nicht überlebensfähig. Selbst Naturvölker sind nicht frei davon, sie verwenden Feuer, gebrauchen, gebrauchen primitive Waffen zur Jagd. Zum Menschsein gehören kulturellen Normen, religiöse Riten, Tänze usw. Robinson hätte auf der einsamen Insel nicht überlebt, wenn er seine einem zivilisierten Land entstammende Fertigkeiten nicht mitgebracht hätte.
3. Was können wir tun? Wer die Augen aufmacht und sieht, stellt in dieser Welt einige erstaunliche Dinge fest. Er wird nicht nur feststellen, daß gegen eben jene geheiligte Werte verstoßen wird, die uns Menschen ausmachen, sondern die Werte selbst werden infragegestellt.
Was können wir tun angesichts der einströmenden uns irrational erscheinenden Welt? Gar nichts, wäre nur eines der zahlreichen, den Status quo erhaltenden Versuche. Ein weiterer Versuch wäre, sich allenfalls am Leben zu berauschen, jedenfalls solange, bis alles um uns noch nicht kaputt ist. Die Nachwelt wird es uns nicht nur nicht danken, die Welt gibt es dann nicht mehr.
Was können wir also tun, außer dem, was wir schon immer getan haben und wobei ein jeder versucht, für sich ein Stück aus dem guten Leben herauszuschneiden?
Wir können doch eine Menge tun. Wir müssen nur um der Dinge wissen, die uns umgeben, einschließlich der Menschen und ihrer Äußerungen, die mit uns leben. Das müssen wir uns plausibel mit einer gewissen Logik vor Augen führen und ins Bewußtsein bringen.
Wir sollten das Gute anstreben, vorausgesetzt wir wissen, was das Gute ist. Wir sollten meinetwegen dafür nach Wegen für das Gute suchen und meinetwegen dafür kämpfen. Was das Gute ist oder was wir meinen, was das Gute sei, läßt sich allein durch unsere Erfahrung herausfinden. Nur dieser Weg führt vielleicht zum guten Leben. Ob es wirklich dieser gute Weg ist, können wir leider vorher nicht wissen oder können es nur sehr spät oder zu spät feststellen, wissen es erst, wenn wir älter geworden sind und auf unseren vergangenen Lebensweg zurückblicken können. Oder werden es nie wissen können, weil wir dann nicht mehr leben.
4. Irrationalität und Emotionalität. Es soll an dieser Stelle nicht der Irrationalismus gerechtfertigt werden, denn dieser feiert ja im Namen der Rationalität wahre Orgien in menschenverachtender Gestalt. Es sollen nur die irrationalen Züge freigelegt werden, die durchweg unser Handeln bestimmen. Irrationales Handeln muß nicht unbedingt etwas Schlechtes sein. Daß sich der Irrationalismus auf der wirtschaftlichen und politischen Bühne so entsetzlich auswirken konnte, liegt am System, an der wirtschaftlichen oder politischen System oder was immer die Menschen in gewisse Handlungszwänge brachte.
Ich spreche mich nicht grundsätzlich gegen den Rationalismus aus, sondern nur gegen jenen, der den Menschen verachtet, ihn nur als Ding oder Objekt ansieht. Ich möchte mit rationellen Mitteln die Gefühlswelt im Menschen freilegen. Meine eigenen Gefühle, meine mir innewohnende Gefühle möchte ich so gut wie möglich gegenüber einer mir lebensfeindlich gesinnten Umwelt zur Geltung bringen.
Auch diejenigen, die leidenschaftlich, vehement und gefühlvoll sind, bei denen geht es nicht ohne Vernunft und Kritik ab. Sie richtet sich gegen Schwärmer, Verspielte und weichherzige Ästheten, die aus Nischen und Schlupfwinkeln hervortreten, verliebt sind in das Spiel mit Worten und zart gebogener Sätze, diese Götzenanbeter der Sinnlichkeit aus Buchstaben. Vernunft und Kritik lassen sich gut gegen allzu farbige Bilder, gegen silberne Nebelfäden verwenden. Wo Leidenschaft vibriert, wo Trunkenheit des Gefühls sich regt, bekommen wir einen mißtraurischen Verdacht und folgen dann doch nicht dem Rattenfänger mit seinen aus der Realität herausführenden süßen verlockenden Melodien. Wir sind Gaukler und Taschenspieler, die auf die Kunst des Verkleidens, Maskentragens und wechselnder Häute verstehen. Wir sind keine Gefühlsmenschen, aber wir sind für eine vernünftige Emotionalität. Die Vernunft verdient dieselbe Hochachtung wie unser Magen, der die Speisen zerteilt und in seine chemischen Substanzen auflöst. (Vgl. Röttger/Rabe, Vulkantänzen, S. 89 f.)
5. Denken. Das Denken ist ein aktives Verhalten, das seine Gegenstände praktisch und real nicht verändert. Das Denken ist theoretisches Verhalten, eine empfindbare, nur in sich selbst empfindliche Kommunikation. Obwohl Denken ein theoretisches Verhalten zu den Dingen ist, kann es jederzeit in praktisches Verhalten, also in eine Handlung umschlagen, und das macht dieses Denken so gefährlich, weil es in unsere Realität nicht immer positiv eingreift.
Zwischen der Wahrnehmung und der tätigen Behandlung des Wahrgenommenen müßte durch das Denken eine Zwischenphase, eine Art Planungsphase nicht verändernden Verkehrs mit den Dingen eingeschaltet werden. (Vgl. Gehlen, Der Mensch)
6. Handlung und Triebbefriedigung. Die Handlung steht beim Menschen zwischen Antrieb und Bedürfnisbefriedigung. Weil der Mensch von einer ihm umgebenden unwirtlichen Natur umgeben ist, kann er seinem unmittelbaren Trieb- oder Bedürfnisverlangen nicht ohne weiteres nachgehen. Er muß sie aufschieben oder verdrängen. Er kann das, weil er vorausschauend überlegt. Er verändert durch das darauf erfolgende Tätigwerden nicht nur seine äußere Natur, sondern auch sich selbst, seine innere Natur. Dabei entstehen neue Bedürfnisse, die aus dem unmittelbaren Antrieb der bloßen Lebensfristung herausgehoben sind. (Vgl. Gehlen, ebd.)
7. Modelle. Daß meine Thesen nur Modelle sein können, ergibt sich allein daraus, daß wir unsere Wirklichkeit eigentlich nur durch Bilder oder Modelle erfahren können. Wir machen uns quasi ein Bild von der Wirklichkeit. Gegenüber diesen oder anderen Modellen der Wirklichkeit, können wir nur durch ständiges Anzweifeln oder permanente Kritik etwas entgegensetzen.
Da aber stabilisierte Verhältnisse für unser Leben nötig sind, feste Standpunkte brauchen und eindeutige Benennungen, um uns orientieren zu können, leben wir mit diesen Modellen ganz gut.
Ob unsere ausgetüftelten Modelle richtig sind oder nicht, läßt sich nur an der Bewährung in der der Wirklichkeit zeigen. Daß es sich nicht sofort zeigt, liegt daran, daß wir auch mit Irrtümern eine Zeitlang ganz gut leben können. Wir existieren sogar jahrhundertelang fort, ohne daß ein Irrtum eingesehen und die Lebensweise entsprechend geändert würde. Wir brauchen dafür nur an die unterschiedlichsteen Normen und Sitten anderer Kulturen denken. Die Fehlentwicklung unserer Gesellschaft durch den Kapitalismus ist ein solches Beispiel. Sie macht sich ebenfalls an der selbstzerstörerischen Kraft bei der Errichtung und im Betrieb von Atomkraftwerken bemerkbar.
8. Ich, die Gegenstände und die anderen. Ich selbst werde geprägt und geformt durch vorgefundene Gegenstände und andere Menschen, die erst von mir erfaßt und unterschieden werden müssen. Das andere tritt in mein Leben ein und vermittelt mir die übrige Welt, die ich alleine nicht erfassen oder wahrnehmen kann.
Die Gegenstände sind all das, das außer mir ist. Von anderen Menschen sind Gegenstände insofern unterschieden, als ich sie mir aneigne (mit anderen zusammen), sie bearbeite und ins Lebensdienlich umforme.
Die anderen (Menschen) sind Ebenbilder meiner selbst. Es sind diejenigen, die mich selbst hervorgebracht haben, mit denen ich zusammenleben und zusammenarbeiten muß.
9. Drei-Welten-Theorie. Ich trete in eine Welt ein, die schon vorhanden ist. Ich mache mir dabei ein Bild oder eine Vorstellung von dieser Welt. Mein Leben aber, die mir präsente gelebte Welt, stellt die Kombination meiner Vorstellungswelt und der von mir erfahrenen Wirklichkeitswelt dar. Beide Elemente stimmen in der von mir gelebten Welt überein.
Meine Welt er-/umfaßt nie die ganze wirkliche Welt, da ich nur in einem bestimmten Raum und in einer bestimmten Zeit lebe.
Meine gelebte Welt ist auch nur bedingt die Vorstellungswelt, da ich gegenüber Täuschungen, Einbildungen und Phantastereien nicht gefeit bin. Die uns plastisch vorgestellte Scheinwelt in Romanen, Filmen, Gemälden usw. ist unentbehrlich, weil ich die Wirklichkeit nur entsprechend unserer (ethischen oder ästhetischen) Vorstellungen bearbeitet oder umgeformt werden kann.
Die gelebte Welt ist die erfahrene, die von mir gestaltete Welt. Sie kann nur unmittelbar erlebt und erst im Nachherein sind Aufzeichnungen aus der Erinnerung heraus möglich.
10. Innere und äußere Natur. Ich muß mein Selbst mit meiner inneren und der äußeren Natur in Einklang zu bringen versuchen:
Meine innere Natur ist mit bestimmten Bedürfnissen verbunden, die nur mit Hilfe von Gegenständen oder mit Hilfe anderer erfüllt, also aus der äußeren Natur heraus befriedigt werden können.
Die äußere Natur stellt nicht immer die Natur / die Welt dar, die dem Menschen nicht ohne weiteres das Überleben ermöglicht. Es muß daher die uns unmittelbar hervortretende äußere Natur strukturiert und ins Lebensdienliche umgearbeitet werden. Das kann der Mensch nie allein, sondern nur in Gemeinschaft mit anderen Menschen bewerkstelligen.
Mit der Bearbeitung der äußeren Natur, die dem Menschen auch Zwänge auferlegt, wird die innere Natur des Menschen beeinflußt. In der Erziehung zum überlebensfähigen Subjekt, wird er von der Mutter / vom Vater / von den übrigen Menschen in der Gesellschaft geformt. Seine Bedürfnisse werden so geprägt, die in verinnerlichter Form später wiederum prägend auf andere Menschen sein können.
11. Lebensnotwendige und kulturell geformte Bedürfnisse. Lebensnotwendige Bedürfnisse sind Essen / Trinken / Sexualität. Die Sexualität ist insofern ein lebensnotwendig Bedürfnis, als andernfall die Fortpflanzung der Menschen, die Reproduktion also, nicht gesichert ist. Im Gegensatz zum Essen oder Trinken läßt sich Sexualität zwar aufschieben, aber nicht aufheben. Der Mensch nimmt langfristig Schaden, wenn er seine Triebbedürfnisse verdrängt oder vernachlässigt. Die harmloseste Form der Verdrängung ist noch, sich in eine Krankheit zu flüchten. Die schlimmere Form ist, wenn sie nach außen gerichtet werden, in Form der Aggression, oder nach innen, in Form der Selbstzerstörung oder gar Selbsttötung.
Kulturell geformte Bedürfnisse sind Kleidung, Wohnen und alle sonstigen Konsumgewohnheiten. Aber auch Essen / Trinken / Sexualität können kulturell geformte Bedürfnisse sein, insofern diese für einen bestimmten Genuß aufbereitet oder als bestimmte Praktik ausgeübt werden. Die in der Form befriedigte Bedürfnisse sind nicht immer von unmittelbarem Nutzen,sie können sogar für das Überleben der Kultur schädliche Formen annehmen.
12. Weltvermittlung. Die Vermittlung der Welt (Ich / Gegenstände / andere) geschieht mittels Sprache. Sprache soll so umfassend verstanden werden, daß wir mit ihrer Hilfe uns ein Bild von dieser Welt machen können. Dieses Bild ist das, was im menschlichen Gehirn als Vorstellung der wahrgenommenen Welt übrigbleibt. Durch Sprache lassen sich die Bilder der wahrgenommenen oder vorgestellten Wirklichkeit auch anderen zugänglich machen. Mit Hilfe der Sprache verschaffe ich mir selbst auch Zugang zu den Wahrnehmungen und Vorstellungen anderer. Die Fähigkeit des Spracherwerbs und ihrer Vermittlung erfolgt konkret in der Mutter-Kind-Duade bzw. über familiale Sozialisation.
Sprache besteht aus benannte Gegenständen, benannten Personen. Sie sind Merkposten und sind für ein Wieder-erkennen und Wieder-erinnern von Gegenständen und Personen wichtig. Erst mittels der Sprache können wir unsere unmittelbare Gegenwart überschreiten, d. h. wir können für die Zukunft planen, bzw. aus den Erfolgen oder Fehlern vergangener Erfahrungen lernen.
13. Notwendigkeit und Freiheit. Der Mensch wird nie aus dem Reich der Notwendigkeit herauskommen können. Als biologisches Lebewesen ist er zu sehr abhängig von der Natur, die ihm ja alle Lebensmittel zum Überleben liefert.
Der Mensch kann sich aber über der Unmittelbarkeit des Notwendigen erheben und sich ein Reich der Freiheit schaffen. Aber ervergißt oft, um das Reich der Freiheit aufrechtzuerhalten, bedarf es immer des Reiches der Notwendigkeit.
Das Reich der Freiheit allen Menschen in gleicher und angemessener Form zukommen zu lassen, ist Ziel vieler politischer und gesellschaftlicher Bewegungen. Nicht alle Bewegungen unter dem Namen Sozialismus oder Kommunismus Bewegungen dienen der Emanzipation aller Menschen. Oft fristen sie diese nur dem Notwendigsten. Oft steckt nur unter dem Mäntelchen der Gleichheit eine vereinheitlichende Lebensweise, in der das allgemeine Lebensniveau der Menschen künstlich niedrig gehalten wird und die unwürdig und erniedrigend gegenüber den Möglichkeiten der Einzelnen und der Gesellschaft sind.
14. Tausch und Weltgesellschaft. Die Weltgesellschaft wurde allgemein in eine Lebensweise gepreßt, die als Entfaltungs- und Emanzipationsmöglichkeiten nur Tauschäquivalente zuläßt. Die Weltgesellschaft wurde dadurch erkauft, daß alle Gegenstände und alle Beziehungen Nützlichkeitsgesichtspunkten unterworfen wurden. Ungleichheiten und Herrschaftverhältnisse potenzieren sich, weil Mehrwert und / oder Tauschgewinne aus ungleichen Tauschverhältnissen wieder in den gesellschaftlichen Prozeß geworfen werden müssen, wenn sie nicht als Werte verlorengehen oder sinnlos verschwendet werden sollen.
HANS-JÜRGEN HANSEN - (Letzte Änderung: 5. 8. 2000)