Zur Sprache Nordfrieslands

Die nationalen Auseinandersetzungen und der deutsch-dänische Krieg in Schleswig-Holstein polarisierten beide Seiten und bewirkten zudem einen erheblichen Rückgang der deutschen Sprache in Dänemark. Nach 1867 wurde in Nordschleswig von deutscher Seite aus versucht, die dort vorherrschende dänische Sprache zurückzudrängen. Hochdeutsch war zwar früher die Amts-, Kirchen- und Bildungssprache in ganz Schleswig-Holstein mit Ausnahme einiger Teile Nordschleswigs gewesen, die Umgangsprachen Friesisch und Jütisch blieben davon weitgehend unberührt. Nun trug der politische preußisch-deutsche Einfluß dazu bei, daß der deutsche Nationalismus auch in Nordfriesland stärker hervortrat. Die eher liberale Gesinnung in weiten Teilen Nordfrieslands wandelte sich spätesten nach dem ersten Weltkrieg in eine konservative Grundhaltung um.

Die friesische Sprache blieb davon nicht unberührt. Mit ihren unterschiedlichen Dialekten wird sie bis heute in Westfriesland in den Niederlanden und in Deutschland in einigen saterländischen Dörfern Niedersachsens und in Nordfriesland gesprochen. Friesisch, übrigens die einzige Minderheitssprache in der Bundesrepublik, zählt wie Englisch zur westgermanischen Sprachgruppe. Friesisch ist am häufigsten in Westfriesland mit 350.000 Sprechern verbreitet und ist dort Schrift- und Literatursprache. In Nordfriesland wird Friesisch höchstens noch von 10.000 Einwohnern gesprochen oder verstanden und ist mit sieben Hauptdialekten auf den Inseln Helgoland, Sylt, Föhr, Amrum und in einigen Gemeinden um Risum-Lindholm herum auf dem Festland verbreitet.

Als Schrift- und Literatursprache hat sich Friesisch in Nordfriesland nie recht entwickeln können, zumal ihre Sprecher immer zwei- oder mehrsprachig aufwuchsen. Friesisch wurde als Haus- und Familiensprache, weniger als Verkehrssprache gebraucht. Erst in jüngerer Zeit hat es literarische Versuche gegeben, vor allem dann, als, durch die Sprachwissenschaft beeinflußt, die Schreibweisen der einzelnen Dialekte festgelegt wurden. Das literarische Schaffen fand allerdings bisher wenig Resonanz in der friesischen Bevölkerung, da es an wirksamen öffentlichen Medien fehlte und am fruchtbaren geistigen Hintergrund mangelte.

Die Amts- und Kirchensprache in Nordfriesland war ursprünglich Latein, später Niederdeutsch. Erst ab dem 16. Jahrhundert setzte sich Hochdeutsch durch. Als Sprache der Hanse, als Handels , Verkehrs- und Marktsprache blieb Niederdeutsch zwar weiterhin erhalten, besonders als Umgangssprache in der breiten Bevölkerung und als Verkehrssprache in der Handelsseeschiffahrt. Doch heute ist die niederdeutsche Sprache zur "plattdeutschen" Mundart, zum Dialekt herabgesunken. Weitgehend zurückgedrängt, ist sie als "Platt" auf dem "flachen" Land noch einigermaßen in Norddeutschland verbreitet.

Die Friesen "dachten" Friesisch und "schrieben" Hochdeutsch, die als feine Sprache der Bildungsschichten sogar im dänischen Sprachraum beliebt und sehr verbreitet war. Sprache war vor dem 19. Jahrhundert noch keine nationale Angelegenheit. Die Einheit Staat, Nation und Sprache wurde erst später im Rahmen von nationalen Auseinandersetzungen zusammengeschmiedet. Für die Verdrängung des Friesischen war eher die niederdeutsche Sprache verantwortlich, denn "Plattdeutsch" wurde hauptsächlich in der nichtgebildeten Bevölkerungsschicht gesprochen. Selbstverständlich drängte auch die Kirche, später die staatliche Schulpolitik die friesische Sprache zurück, besonders im südlichen Teil Nordfrieslands, in Eiderstedt, wo sie seit etwa 200 Jahren ausgestorben ist. Heute tragen andere moderne Einflüsse wie Zeitungen, Bücher, Hörfunk, Fernsehen, Fremdenverkehr usw. dazu bei, daß Friesisch, wenn überhaupt, nur noch im Familien- oder Freundeskreis gesprochen wird.

Daß der Erhalt und die Förderung friesischer Sprache eminent wichtig sind, wird es damit begründet, daß allein sie die friesische Wirklichkeit und den friesischen Alltag hundertprozentig wiedergeben kann. Übersetzt ins Deutsche werde Wesentliches verlorengehen. Die deutsche Sprache ist zwar unübertroffen, wenn es darum geht, allgemeine und technisch abstrakte Sachverhalte auszudrücken. In diesem Umfang ist eine Regionalsprache wie das Friesische dazu nicht in der Lage. Sie ist niemals eine Schriftsprache gewesen und über eine Haus- und Familiensprachen nicht hinausgekommen. Auf der anderen Seite bereitet es Übersetzern Mühe, Sachverhalte des friesischen Alltags in einer deutschen Übersetzung voll zu erfassen. Die Nuancen, die Farben gehen verloren, anstatt eines schillernden farbigen Bildes ist nur noch ein nüchternes Schwarz-Weiß-Photo zu sehen. [ 1 ]

Dennoch ist es ist falsch, sich die friesische Wirklichkeit als eine totale Einheit vorzustellen. Die Friesen in Nordfriesland wuchsen immer mit mehreren Sprachen auf. Für jeden Funktionskreis wurde die entsprechende Sprache verwendet. Für die normal erfahrbare Alltagswelt genügte die friesische Sprache vollauf. Drangen andere Wirklichkeitsbereiche ein oder wurde in eine andere Alltagswelt gewechselt, so in die der Seefahrt oder die des Handels, auf der Arbeit oder im Umgang mit den Badegästen. Auch wenn sie ganz oder vorübergehend in die Fremde zogen, verwendeten sie immer die der jeweiligen Kommunikation angemessene Sprache. Friesisch war zunächst die zuerst erlernte Muttersprache, Hochdeutsch wurde den Kindern erst in der Schule beigebracht, "Platt", also Niederdeutsch eigneten sie sich erst im Umgang mit anderen Dorfkindern auf der Straße an. Die hochdeutsche Sprache diente überwiegend zur Befriedigung der Bildungsansprüche und war Nordfriesland nach Ablösung des Niederdeutschen schon früh zur offiziellen Amts , Schul- und Kirchensprache erhoben worden. In ihr lernten die Friesen lesen und schreiben, in ihr wechselten sie Briefe, wenn sie von ihrer Heimat getrennt waren.

Trotz vieler Befürchtungen, die friesische Sprache werde angesichts des modernistischen Einflusses und des universellen Lebensstils der westlich geprägten Einheitskultur zurückgedrängt oder müsse gar aussterben, hat sie sich bis heute erstaunlich lebendig gehalten. Trotzdem ist die friesische Sprache weiterhin bedroht, wenn weiter nichts geschieht. Trotz intensiver Sprachpflege ist abzusehen, daß in späteren Generationen niemand die friesische Sprache mehr spricht und sie nur noch in der Aufzeichnung als Tondokument zu hören ist.

Die friesische Sprache kann nur dann überleben und damit lebendig bleiben, wenn sie systematisch als Schrift- und Umgangssprache aufgewertet wird. Zwar wird Friesisch seit einigen Jahren in einigen Schulen, auf Föhr, auf Sylt und in den Dörfern Risum-Lindholm und Langenhorn in freiwilliger und ungenügender Form unterrichtet. Inzwischen gibt es zu diesem Zweck auch eine beträchtliche Zahl von Lehr-, Wörter- und Grammatikbüchern in den jeweiligen Dialekten. Auch liegt, besonders in den Sylter, Föhrer und Mooringer Dialekten, ein bescheidenes Angebot an friesischer Literatur vor. Es gibt Gedichte, Theaterstücke, Kinderbücher und Übersetzungen aus anderen Sprachen. Doch andererseits wird in medienpolitischer Hinsicht das Friesische immer noch stiefmütterlich behandelt.

Für eine positive Entwicklung der friesischen Sprache gibt es zudem eine Schwierigkeit, die kaum zu beseitigen ist: : Es fehlt eine einheitliche nordfriesische Sprache und Schreibweise. Friesisch zerfällt in sieben, mitunter stark differierende Dialekte. Ein Föhrer kann sich z. B. Mit einem Festlandsfriesen unter Umständen nur mit Mühen verständigen. Da greifen viele untereinander in der Verständigung dann doch lieber auf das Hoch- oder Plattdeutsche zurück. Die wenigsten, die Friesisch sprechen, können es auch schreiben. Zwar ist das Schriftbild der einzelnen friesischen Dialekte inzwischen festgelegt und damit drucktechnisch vervielfältigbar, aber aussichtsreiche größere Publikationen in Friesisch sind nicht in Aussicht. Schriftliche Äußerungen sind wenig verbreitet und müßten zudem einem größeren Kreis zugänglich gemacht werden. Eine einheitliche Sprech- und Schreibweise könnte da eher helfen.

Aber welcher der Dialekte hätte die größte Aussicht, zum Standardfriesisch erhoben zu werden? Keiner möchte seinen eigenen zugunsten eines anderen Dialekts aufgeben. Eine Schreibweise, die aus den verschiedenen friesischen Dialekten zusammengeworfen ist, erscheint ihm ebensowenig akzeptabel. Hilfreich zur Entscheidung dieses Dilemmas könnte ein pluralistischer Standpunkt sein, der das friedliche Nebeneinander aller Dialekte erlaubt. Dann bestünde irgendwann die Hoffnung, daß sich im Friesischen irgendwann von selbst einmal durch ständigen Umgang miteinander eine einheitliche Sprech- und Schreibweise herausschälen wird.

Was kann also getan werden, um eine breitere Basis gegen die rückläufige Entwicklung der friesischen Sprache herzustellen? Es müßten eigentlich alle, die in Nordfriesland leben und die sich den Friesen zugehörig fühlen, ermuntert werden, nachträglich die friesische Sprache in einem der Hauptdialekte zu erlernen und sich gleichzeitig mit den anderen gesprochenen Dialekten vertraut zu machen. Das ginge aber nur, wenn die friesische Sprachen mehr als bisher, neben der Erstvermittlung durch die Eltern, bereits im Kindergarten, in der Schule ab dem 1. Schuljahr, in der Erwachsenenbildung, vielleicht in Form von Feriensprachkursen, in Presse, Rundfunk und Fernsehen bekannter gemacht und gepflegt würde. Optimal wären Radioprogramme, die in friesischer Sprache gesendet würden. Durch das Hören der Laute könnte sie einer größeren Öffentlichkeit zum Bewußtsein gebracht werden.

Auf europäischer Ebene hat man sich ebenfalls des Problems der Klein- und Minderheitssprachen angenommen. Die parlamentarische Versammlung des Europarats gab 1981 die Empfehlung 928 heraus, die "erzieherische und kulturelle Probleme im Zusammenhang mit den Sprachen und Minderheiten und den Dialekten in Europa" betraf. In einer weiteren 1981 verabschiedeten Entschließung des Europa-Parlaments zur "Gemeinschaftscharta der Regionalsprachen und -kulturen und einer Charta der Rechte der ethnischen Minderheiten" [ 2 ], in der dazu konkrete Schritte beschrieben werden, stellt Thomas Steensen für die Friesen folgendes heraus: "Auch für Nordfriesen kann diese Erklärung Bedeutung erlangen. Denn nicht alles, was darin als wünschbar genannt wird, ist in Nordfriesland schon verwirklicht. Die Berücksichtigung der Schulen und (Kindergärten!) etwa steckt trotz hoffnungsvoller Ansätze noch in den Kinderschuhen. Unterricht über nordfriesische Geschichte findet kaum statt. Und im Rundfunk wird die friesische Sprache weiterhin mit keiner Minute Sendezeit berücksichtigt". [ 3 ]

Die friesische Sprache ist in einigen Teilen Nordfrieslands zwar immer noch lebendiges Sprachgut, doch für die Weiterexistenz ist es dringend notwendig, daß diese an nachfolgende Generationen weitergegeben wird, wenn die Sprache nicht eines Tages "mit der letzten friesischen Mutter" aussterben soll. Nicht nur die friesische Sprache, auch andere Kleinsprachen, Dialekte und Mundarten in Deutschland Westeuropa haben mit den allgemein äußeren modernistischen Einflüssen zu kämpfen. Nicht nur die universale "amerikanische Einheitskultur", ebenso wirken Schule, Kino und Fernsehen, Freizeitgestaltung, Fremdenverkehr, überhaupt die allgemeine wirtschaftliche und politische Entwicklung auf die friesische Sprache und die friesische Bewußtseinsentwicklung ein. Diese Faktoren sind für die Sprache dominierender geworden als Familie, Nachbarschaft oder Arbeitsplatz. Zudem erschweren die wenig aussichtsreichen Lebens- und Arbeitsperspektiven im nordfriesischen Raum das bewußte Festhalten an der friesischen Sprachtradition. Qualifizierte Facharbeiter und Absolventen höherer Schulen wandern ab, da sie in ihrer Region nur wenige oder keine ausreichenden Möglichkeiten finden. Anderswo werden bessere Chancen in Studium und Beruf geboten.

Anmerkungen

[ 1 ]
Vgl. Bo Sjölin, Probleme der Mehrsprachigkeit, in: Nordfriesische Sprachpflege, (1982), H. 3, S. 7

[ 2 ]
abgedruckt in Thomas Steensen, S. 111 ff.

[ 3 ]
vgl. ebd., S. 111 f.


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