Blaise Pascal und Port Royal in Husum und auf Nordstrand

Ein kleines Büchlein ist mir in die Hände gefallen: "Blaise Pascal. Die Sternenbahn eines Menschengeistes" von Friedrich Ernst Peters, geschrieben in der Passionszeit des Jahres 1946, in der Zeit also, in der ich geboren wurde. Im Vorwort geht er auch auf die überwundene Zeit des Nationalsozialismus und des 2. Weltkriegs ein. Es ist erstaunlich, daß Peters ein solches Buch verfaßt hatte, denn der Verfasser ist eher durch den plattdeutschen Roman "Baasdörper Krönk" bekannt geworden.

Peters hatte den 1. Weltkrieg ausschließlich als Kriegsgefangener von 1914 bis 1919 in Frankreich verbracht. Die dabei erworbenen Sprachkenntnisse haben ihm verholfen, sich intensiv mit Werk von Blaise Pascal auseinanderzusetzen. Pascal gehörte dem Kreis der Jansenisten um Port Royal bei Paris in Frankreich an, die interessanterweise auch auf Nordstrand im 17. Jahrhundert Besitz und in Husum ein Haus Ecke Langenharmstraße/ Neustadt besaßen.

An dieser Stelle besaß der Port Royaler Gorin ein Haus, das zu den Besitzungen auf Nordstrand gehörte

Blaise Pascal wurde am 19. Juni 1623 zu Clermont in der Auvergne geboren. Als dreijähriges Kind verlor er seine Mutter. 1631 übersiedelte die Familie nach Paris. 1639 zog die Familie nach Rouen, von wo aus Etienne Pascal das Steuerwesen der Normandie neu ordnete. Pascal besuchte nie eine öffentliche Schule. Er erhielt eine Unterweisung von seinem Vater.

Als 17jähriger veröffentlichte der junge Pascal seine erste mathematische Arbeit. Zwei Jahre später konstruierte er eine Rechenmaschine und im selben Alter nahm er seine berühmten Versuche über den luftleeren Raum. Weiter begründete er seinen Ruf mit Arbeiten zur Infinitesimal- und Wahrscheinlichkeitsrechnung, die er am Würfelspiel vornahm.

Im Jahre 1646 begegnete Pascal zum erstenmal dem Jansenismus, einer reformatorischen religiösen Bewegung, die auf dem Werk über Augustinus des Bischofs Jansenius von Ypern beruht. Der Jansenismus weist in der Lehre vom unbedingten religiösen Primat der Gnade eine starke Verwandtschaft mit dem Calvinismus auf. Die Bewegung hatte in der Abtei Port Royal bei Paris ihre geistige Führung.

Anonymes Portrait von Blaise Pascal aus dem 17. Jahrhundert. Standort: Archevêché in Toulouse (Quelle: Wikipedia)

Im Alter von 25 Jahren erlitt Pascal gesundheitlich eine schwere Erschütterung, die er nie mehr ganz überwunden hatte. Die wies ihn zu einem neuem Arbeitsfeld, das sich mit dem Studium des Menschen befaßte. Pascal, bisher nicht religiös eingestellt, erfuhr in der Nacht zum 24. November 1654 ein sogenanntes Wunder, von dem ein "Memorial" Kunde gibt, den man nach seinem Tode entdeckte im eingenähten Futter seines Rocks, das ihm den endgültigen Dolchstoß zum Christlichen gab.

Wenn Pascal mit der Gotteserfahrung, die ihm bis in die Sinnesempfindungen durchschlug und ihn innerlich und äußerlich ein völlig verändertes Leben beginnen ließ, blieb er auch nach 1654 zunächst mit einem bedeutenden Teil seines Wesens ein Weltmann. So war er als solcher ein Mitbegründer und Teilhaber der ersten Pariser Verkehrsgesellschaft, die Standespersonen ersparte, bei schlechtem Wetter mit verschmutztem Schuhwerk die Salons zu betreten, denn die Pariser Straßen waren in einem sehr desolaten Zustand.

Auch die Bindungen zum Jansenismus gestalteten sich enger. Für längere Zeit zog er sich ganz nach Port Royal zurück, im Umkreis von Gelehrten und Persönlichkeiten, wie z.B. dem berühmten Antoine Arnauld, Doktor der Sorbonne, und dem Theaterdichter Jean Racine ansiedelten.

In den letzten vier Jahren war Pascal beschäftigt mit dem Buch der "Pensées", das seinem Namen mehr als anderes Unsterblichkeit sichern sollte. Er hatte geplant, eine "Apologie des Christentums" zu verfassen, die auf ein gründliches Studium der Heiligen Schrift und der Kirchenväter ebenso begründen sollte, wie auf seine religiöse Erfahrung. Doch am 19. August 1662 führte der Tod des 39jährigen seinem Vorhaben ein Ende. Geblieben sind Notizen, die seine Schwester Gilberta Périer zusammenstellte und die 1670 von seinem Neffen Etienne Périer von Port Royal mit einer Einleitung zum erstenmal veröffentlicht wurde.

Pascal wurde in eine Zeit hineingeboren, die den Menschen in der Renaissance den ersten Rausch seiner geistigen Autonomie auskostete, sie hier und da einer beginnenden Ernüchterung und Unruhe versetzte. Ihnen dämmerte die Erkenntnis, daß Autonomie ihrer menschlichen Natur widerstreitet. Sie suchten daher die Heimkehr zu den straffen religiösen Bindungen des Katholizismus. Einstweilen jedoch standen Freidenker im Vordergrund, so der 1592 verstorbene Montaigne, der auch im 17. Jahrhundert weiterhin seinen Einfluß ausübte und so auch Pascal stark beeinflußte.

Zistersienzer-Kloster Port Royal de Champs mit umliegenden Gebäuden

Einer der Gedanken Pascals , übersetzt von Friedrich Ernst Peters, mag hier wiedergegeben werden:

"Wir halten uns niemals an die Gegenwart. Wir nehmen in Gedanken die Zukunft vorweg, als wäre uns ihr Heraufkommen zu langsam, als müßten wir ihren Gang beschleunigen. Oder wir rufen uns die Vergangenheit ins Gedächtnis zurück, wie um das Enteilende zu halten. So unklug sind wir, daß wir in Zeiten umherirren, die nicht die unsern sind, und daß wir der Zeit nicht gedenken, die allein uns gehört; so eitel, daß wir nur an die denken, die uns nichts mehr sind, und die einzige, die Wirklichkeit hat, ohne Nachdenken entfliehen lassen. Dies rührt daher, daß im allgemeinen die Gegenwart uns verletzt. Wir verbergen sie unserm Blick, weil sie uns quält; und wenn sie uns angenehm ist, so bedauern wir ihr Entfliehen. Wir bemühen uns, sie durch den Blick in die Zukunft erträglich zu machen. In der Zukunft, in einer Zeit also, von der wir mit keinerlei Sicherheit sagen können, ob wir in sie hineingelangen, gedenken wir die Dinge zurechtzurücken, die nicht in unserer Macht stehen.

Wer seine Gedanken überprüft, wird sie alle mit der Vergangenheit oder der Zukunft beschäftigt finden. Wir denken fast gar nicht an die Gegenwart, und wenn es doch geschieht, so wollen wir ihr nur Einsichten abgewinnen, mit denen die Zukunft sich meistern läßt. Niemals ist die Gegenwart unser Ziel. Vergangenheit und Gegenwart sind unsere Mittel. Die Zukunft allein ist Ziel. So leben wir niemals, sondern hoffen nur immer einmal zu leben, und indem wir uns in Bereitschaft halten, glücklich zu sein, ist es unvermeidlich, daß wir es niemals erreichen."

12. Mai 2025
Hans-Jürgen Hansen

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