Über Hans Henny Jahnn
Was H. H. Jahnn angeht, so muß man schon mit den Paradoxien seines Lebens und vor allem seines Werks zurechtkommen. Besonders bewußt wurde mir dies anläßlich der Zentenarfeier zu seinem 100. Geburtstag im Dezember 1994 in Hamburg. Die Feierlichkeiten waren damals meiner Ansicht nach zu hoch angesetzt. Jahnn ist zweifellos ein genialer aber sperriger Literat und Künstler, der diesmal allerdings, im Gegensatz zu 10 Jahre zuvor, auf einen zu hohen öffentlichen Podest gesetzt worden ist.
Das war mir schon am 6. Dez. auf dem Senatsempfang aufgefallen. Nach dem zweifellos hervorragenden Eröffnungsreferat, das der Schriftsteller Adolf Muschg aus der Schweiz gehalten hatte, entstand bei mir das Gefühl, daß an diesem Abend mehr die kulinarischen Genüsse wichtiger waren. Am Wochenende darauf dann fand ich bei dem 3tägigen H.-H.-Jahnn-Kongreß eine ausgesprochen steife Atmosphäre vor, die allerdings bereits am Freitag im Verlaufe des fortgeschrittenen Abends beim kleinen Imbiß einschließlich der dargereichten kostenlosen Getränke abschmolz. Sonnabendabend bedauerte ich es bereits, daß ich nicht auch noch den Sonntag der ansonsten anstrengenden Tagung mitnahm. Aber alles ist eben nicht zu haben. Auch die enggedrängten und ständig in der Zeit überzogenen Vorträge konnten nicht alle konsumiert werden, weil Vieles parallel veranstaltet wurde. So nahm ich zum Abschied wenigstens den 100,- DM teuren Bildband zur Ausstellung (eine schöne gebundene Ausgabe) mit nach Hause. Diese hatte ich mir in Hamburg nicht angesehen. Aber vielleicht habe ich dazu noch bis Februar 1995 Gelegenheit.
Was den Autor Jahnn selbst angeht, so gestehe ich, daß es tatsächlich keine leichte Herangehensweise zu ihm gibt. Er eggt eben immer wieder an. Wenn man Jahnn nicht von "innen" her über seine beiden Hauptwerke "Perudja" und "Fluß ohne Ufer" aufschließen kann, erscheint er in Tat als ein unzugänglicher Literat.
Jahnn lebte ja anscheinend von seiner Jugend an in homosexuellen Beziehungen. Er hat sich allerdings, außer in seinem literarischen Werk, nie offen dazu bekannt, ja, er war sogar 1926 eine normale Ehe eingegangen und hatte auch eine Tochter (Signe). Das Trauma seiner Homosexualität führte Jahnn hauptsächlich in seinen Dramen und Romanen, und das mit einem gewaltigen und fast umhauenden Ergebnis.
Jahnn fand sich zudem nie damit ab, daß der Mensch sterblich war. Er lehnte sich dagegen auf und wollte zumindest nach seinem Tode den körperlichen Verfall aufhalten. Jahnns Weltbild war vom Schutz des menschlichen Lebens und jeglicher Kreatur (insbesondere Pferde) besessen. Jahnn kommt der Wahrheit des menschlichen Lebens sehr nahe. Er hat sich sehr intensiv auf seine Höhen und Tiefen eingelassen. Jahnn ist ein absoluter Humanist, aber auch ein absoluter Grenzgänger.
Es ist ja eine "Polemik zu Hans Henny Jahnn" vor kurzer Zeit erschienen, der "Weiberjahnn", herausgegeben von Frauke Hamann und Regula Venske. Alle Beiträge in dem Buch wechseln zwischen Abwehr und Annäherung, Abgestoßenheit und Angezogensein, verwundert darüber, daß Jahnn in der feministischen Literaturwissenschaft bisher ein blinder Fleck geblieben ist.
Die Frauen haben es bei Jahnn ja besonders schwer. Zitat: "Sie werden gemordet, erwürgt, mit Messern traktiert, gelyncht. Ihre Leiber werden bestenfalls verschachert, schlimmerenfalls aufgeschlitzt." Jahnn haßt vielleicht Frauen deshalb, weil er wegen seiner homoerotischen Neigungen Probleme mit der althergebrachten Mann/Frau-Zuordnung hat, sich als Frau imaginiert, aber nicht gebären kann. Sein Frauenhaß ist also auch ein Selbsthaß. Zitat: "Die Frau kann gebären, der Mann kann töten. Im Töten kann er die Festlegung seines Geschlechts bekämpfen und zugleich das gebärfähige Geschlecht bekämpfen."
Das Frauenopfer in Jahnns Romanen und Dramen bringt schließlich das Männerpaar zusammen. Zitat: "Erst wenn aus der schönen Frau ein Bündel aus Sacktuch, Teer und Fleisch geworden ist, kann es eine erotische Partnerschaft der Männer geben." So offenbart Jahnn in "Fluß ohne Ufer" auch das "Geheimnis" Tuteins, die zweite Hauptfigur des Romans, daß dieser "Frauen auch lieben, nicht nur morden" kann. Die Männer kommen also nicht aus ihren Ängsten und Phantasien, aus den Abgründen ihrer Existenz heraus, die sie für die menschliche halten.
Als ich vor etwa zehn Jahren begann, "Fluß ohne Ufer" und "Perudja" zu lesen, muß ich sehr empfänglich für das Abgründige gewesen sein. Dennoch überwog an der Lektüre die Faszination gegenüber dem Abscheu. Den "skandalösen" Jahnn hatte ich aber irgendwie gar nicht mitbekommen. Vielleicht hängt dies auch mit meiner eigenen Existenz und meinen eigenen Grenzen zusammen oder daß ich noch sehr naiv in die Welt geguckt hatte. Ich hatte in der Zeit aber auch alle sonstigen Großen der avangardistischen Weltliteratur gelesen mit mehr oder weniger Vergnügen: Proust, Musil, Joyce, Döblin, Broch, Barlach und sogar auch einen friesischen Dichter: Mungard.
HANS-JÜRGEN HANSEN
Stand: 27. 12. 99, verfaßt Anfang 1995
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