Ockholm


Ockholmer Aufstände Ende des 18. Jahrhunderts

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Die Aufstände 1793/95 und 1797 in Ockholm

Der Brotkornaufstand

In den "Nachrichten über das Amt Bredstedt von 1819", die der damalige Hardesvogt Levsen verfaßte, heißt es, daß die Eingesessenen des Kirchspiels Ockholm, insbesondere die Arbeitsleute als gute Deicharbeiter bekannt seien. Den größten Teil ihres Verdienstes erwürben sie sich durch die jährlich anfallenden Deich- und Lahnungsarbeiten, die von ihnen nur zu oft außerordentliche Anstrengungsleistungen verlangten, die ihre Kräfte verbrauchten und die auch ihrer Gesundheit nicht besonders förderlich seien. Wenn Levsen die Ockholmer auch als "willig und folgsam" beurteilte, die "einen recht gutem moralischen Charakter" hätten, so bescheinigte er ihnen andererseits "auffallende Proben von Meuterei und Fanatismus".

Einer dieser Anlässe war der Brotkornaufstand im Bongsieler Hafen. Der "Mißwuchs" der Jahre 1793 bis 1795 hatte die Getreidepreise, insbesondere die des Roggens, außerordentlich ansteigen lassen. Besonders diejenigen, die unvermögend waren, litten in den Jahren unter der Teuerung. Überall in Schleswig wurden daher Maßnahmen angeordnet, um eine Hungersnot unter der Bevölkerung zu verhindern. Die Ausfuhr von Brotkorn wurde untersagt und darüber hinaus mußte jedes Kirchspiel und jeder Landbesitzer seinen Vorrat angeben.

Da blieb es nicht aus, daß Ockholmer und Fahretofter Arbeitsleute zusammen mit am Seedeich beschäftigten auswärtigen Arbeitern nach Ockholm zogen, um ein angeblich mit Roggen beladenes Schiff gewaltsam am Auslaufen zu hindern. Wie es sich später herausstellte, hatte es aber Hafer geladen. Als dieser Tumult später gerichtlich untersucht wurde, kamen die Aufständischen milde davon. Sie mußten nur den Schaden ersetzen. Daß sie so glimpflich davon kamen, lag daran, daß unterschiedliche Gerichte für die Strafen zuständig waren. Auffällig war auch, daß nach Levsen ein königlicher Beamter "ganze Geschichte" angeführt haben soll.

Der Aufstand gegen die Adlersche Kirchenagende im Jahr 1797

1797 sollte in den Herzogtümern Schleswig und Holstein eine neue Kirchenordnung eingeführt werden. Diese Agende war getragen vom neuen aufkommenden Geist des Rationalismus und der Aufklärung. In einem von Christian VII. verfügten Verordnung vom 24. April 1797 sollte die vom damaligen Generalsuperintendenten Jacob Friedrich Adler verfaßte Kirchenordnung stillschweigend und ohne vorherige Bekanntmachung oder Anpreisung von der Kanzel eingeführt werden. Wenn das nicht möglich war, sollte die neue Liturgie im Gottesdienst nach und nach zur Anwendung kommen.

Gegen diese Agende nun formierte sich Ende 1797 ein breiter und erbitterter Widerstand in zahlreichen Ortschaften Schleswig-Holsteins. In der kleinen Kirchspielsgemeinde Ockholm kam es sogar zu einem Aufstand. Das kam so: Pastor Johannes Carstens saß am Abend des 16. November 1797 mit seiner Familie in der Wohnstube, als er plötzlich einen gewaltigen Lärm vor seinem Haus vernahm. Schließlich traten vier Männer ein: Niels Christophersen, Deichvogt Bahne Nissen, Boy Iversen und Fedder Boysen. Sie erklärten dem Hausherrn, daß sie vom "ganzen Kirchspiel" geschickt worden seien. Die Einwohnerschaft, die sich im Wirtshaus versammelt hätte, sei im Anmarsch.

Die Männer erzählten weiter, sie seien mit Gewalt gezwungen worden, zu ihm zu gehen, um die "Verschreibung zu erlangen", daß es hinsichtlich der neuen Kirchenordnung "alles beym alten" bleibe, "widrigenfalls" er die Kirchenschlüssel herausrücken müsse und auch keinen Gottesdienst mehr abhalten dürfe. Sie forderten sodann das "Publicandum" des Textes, der am 24. April 1797 erlassen sei. Aber die verlangte Erklärung mochte ihnen Carstens nicht geben. Den Schlüssel besäße er nicht, vom "Publicandum" gäbe es nur eine Abschrift, der Text der Kirchenordnung könne in Bredstedter Amtshaus eingesehen werden. Im weiteren Verlauf wurde dem Pastor Neuerungssucht vorgeworfen, er solle sich der aller Religion gefährlichen Lehre enthalten, andernfalls sie ihn samt seiner Familie aus dem Predigerhaus werfen und ihn seinem "wohlverdienten Schicksal" überlassen würden.

Pastor Carstens sah Niels Christophersen als den "vornehmsten Urheber des Lärms" an, der auch gar nicht als Kirchenofficial aufzutreten befugt sei. Christophersen hatte ihm erklärt, daß "er nach der Obrigkeit nicht frage, wenn er seine Kopfsteuer bezahle". Er gehe nicht eher aus dem Haus, bis er ihnen das Verlangte gegeben hätte. Der Pastor sei für ihn ein "Fabelprediger, ein Lügner", ein "falscher Prophet", der die Bibel verdrehe, die Jugend verführe und ihnen nicht den rechten Weg zum Himmel zeige. Zudem verstoße er in seinen Predigten gegen die "reine evangelische Lehre". Alles was Carstens entgegnete, bezeichnete Christophersen als "Jungenschnack". Und als der Pastor ihn bat, sein Haus zu verlassen und bei Nacht nicht die Ruhe seines Hauses zu stören, gab dieser nur zur Antwort, "das Haus wäre ebensowohl sein, als mein." Und um Pastor Carstens vollends zu kränken, sagte Niels Christophersen, die neuen Texte wären gut genug, aber er taugte nicht dazu, diese ihnen zu erklären. Er könne nichts anderes, als die Bibel vorzulesen.

Während der "Mißhandlung" durch den Wortführer, schrieb Carstens einen Tag später an Amtmann von Blücher und am 22. November 1797 an Adler, stand vor seinem Fenster ein "unzählbarer Schwarm von Pöbel", in das sie in der "dunkelsten Nacht" mit Hohnlächeln" hereinsahen. Aus Angst bekam seine "ohnehin kränkliche Frau, durch diese Scene erschrocken", fürchterliche Krämpfe, über die sie jeden Augenblick zu ersticken drohte und beinahe in seinen Armen verstorben wäre. Neben den Vorwürfen Christophersens war es wohl dieser Umstand, der den Prediger so aufbrachte, daß er "den Leuten das Schändliche und Rechtswidrige ihres Betragens in seiner ganzen Größe" eindringlich vor Augen führen suchte. Das half schließlich und die Besucher gingen weg, nicht ohne die Bemerkung, er solle sie ruhig anzeigen.

Pastor Carstens reiste am übernächsten Tag nach Bredstedt, um vom Amtmann und Hardesvogt Gustav Gotthard von Blücher über diesen Vorfall eine gerichtliche Untersuchung vorzunehmen und die Anstifter gefangensetzen zu lassen. Während der Vernehmung wurde die Erklärung Carstens in der Hauptsache als richtig anerkannt, doch wollten Bahne Nissen, Boy Iversen und Fedder Boysen, die ebenfalls anwesend waren, die "beleidigenden Ausdrücke" von Niels Christophersen nicht gehört haben. Dieser selbst erkannte jedoch die Darstellung des Ockholmer Predigers als richtig an. Boy Iversen äußerte zusätzlich, "daß die Ockholmer Eingesessenen nicht so sehr gegen die neue Kirchenagende wären, sondern vielmehr ihre Unzufriedenheit über des Pastor Carstens Predigten dadurch zu erkennen gaben, weil sie glaubten, als wenn er nicht die reine Lehre in seinen öffentlichen Kanzelvorträgen beobachte."

Zum Schluß der Vernehmung am 18. November 1797 wurde Bahne Nissen von Schuld freigesprochen, weil er sich bemüht hatte, Frieden zu stiften. Boy Iversen und Fedder Boysen wurden wegen "Vernachlässigung ihrer Pflichten" dagegen als "schuldig erkannt, königliche Brüche zu dingen." Fedder Boysen mußte wegen anfänglichen hartnäckigen Leugnens noch zusätzlich 16 Schillinge für die "Armenbüchse" erlegen. Doch bei Niels Christophersen sah es von Blücher als erforderlich an, ihn als Anstifter gefangenzusetzen. Er wurde zu einer achttägigen Gefängnisstrafe "bei Wasser und Brot" verurteilt und gleich verhaftet.

Das brachte aber die anderen Ockholmer erst recht in Rage. Kaum gelangten sie mit der Nachricht im Ockholmer Koog an, als sie zu später Stunde noch die schlafenden Bewohner aufzuwecken versuchten und sie aufforderten, mit ihnen am anderen Tag nach Bredstedt zu ziehen, "um den Kerl mit Gewalt aus dem Loche" zu nehmen. Andernfalls würden ihre Häuser niedergerissen, daß "kein Stein auf dem andern bliebe".

Am anderen Tag, am 19. November 1797, Sonntagmorgen um sieben Uhr, erschienen im Bredstedter Amtshaus aus Ockholm der Gevollmächtigte Paul Ingwersen, Christian Weinbrandt, Peter Nissen und Christian Jensen. Sie ließen verlauten, "daß unter den Eingesessenen in Ockholm über die gestrige Verhaftung des Niels Christophersen eine Gährung entstanden sei und daß man beabsichtige, nach Bredstedt zu ziehen, um den Gefangenen zu befreien". Als sie daher um seine Entlassung baten, wurde ihnen jedoch die Bitte abgeschlagen.

Schließlich trafen die Ockholmer, die noch von den Reden am Vortag so aufgebracht waren, mit "Knütteln, Stöcken, Heugabeln" und ähnlichen Gerätschaften in Bredstedt ein und erregten im Fleckensort erhebliches Aufsehen. Viele hatten sich schon unterwegs mit reichlichen Quanten Schnaps und Köm eingedeckt und sich Mut angetrunken.

Was hätte die Obrigkeit, geschweige die Einwohner auch gegen "diesen Haufen" ausrichten können? Es gab kaum Polizeibedienstete am Ort. Gegenüber der Forderung, den festgesetzten Ockholmer freizugeben, gab es daher keinen nennenswerten Widerstand. Zwar versuchte der Amtssekretär noch, die Menge zum Rückzug zu bewegen. Doch als alles Bitten und Argumentieren nicht fruchtete, hielt er es für ratsam, nicht ohne vorherige Einwilligung des Amtmanns, den Inhaftierten freizulassen. Von Blücher lag an diesem Tag mit Gicht zu Bett und konnte, wie er es wohl gewünscht hätte, persönlich nichts ausrichten. Das sei wohl das Beste gewesen, kommentierte sein Nachfolger Levsen diesen Umstand. Möglicherweise wäre sonst in der Folge Schlimmeres passiert .

Von Blücher stellte im Bericht vom 19. November 1797 die Sachlage wie folgt dar:

"Wie weit es mit der Zügellosigkeit und Unordnung bereits gekommen sey, davon zeuget der heutige Auftritt am deutlichsten, indem diesen Morgen die Ankunft von mehr als 50 Ockholmer mich aus meinem Krankenlager rief, und als ich mich nicht für befugt hielt - den Inhaftierten loszugeben, das Gefängnishaus niederzureißen drohte und so durch ihre vereinte physische Übermacht in Hinsicht des incarcerierten Niels Christophersen eine gewaltsame Befreiung effektuierte, meinen Sekretär aber, der sich vor der Thür des Gefangenhauses gestellt, um durch zudringendes Bitten und Ermahnen den anwesenden Leuten von Gewaltthätigkeiten abzuhalten, durch einen Fall im Gedränge ein apoplectischer Zufall begegnete, woran derselbe noch itzt gefährlich darniederliegt."

Er bat weiter um Verhaltenmaßregeln und "um Verlegung einer Esquadron Reuter nach dem hiesigen Amte, zur Abwendung eines dem Anscheine nach bevorstehenden förmlichen Aufruhrs." Vom Obergericht auf Gottorf wurde am 29. November 1797 schließlich verfügt, daß die Geschehnisse durch ein "ordentliches Bondengericht" mit "Glimpf und Schonung" untersucht und weiter berichtet werden solle. Es merkt weiter an, "da der gemeine Mann den Wahn zu haben scheine, als wäre die Religion selbst in Gefahr. Alle Verhaftungen sind auf das Sorgfältigste zu vermeiden, auch gegen Niels Christophersen ist zunächst nicht weiter vorzunehmen." (Mau 1900, S. 251)

Ursachen und Hintergründe der "Revolutionen"

Das ungewöhnliche, fast revolutionäre Verhalten der Ockholmer Einwohner war unter anderem darauf zurückzuführen, daß in den Jahren 1791 und 1793 gleich drei Sturmfluten größere Schäden an den Ockholmer Deichen anrichteten. Zur Beseitigung der Schäden mußten im Sommer 1792 viele auswärtige Arbeiter angenommen werden. Carstens schloß daraus, daß die Ockholmer Deicharbeiter auch deshalb so verwildert seien, weil sie "da draußen am Deich" mit dem "Auswurf aller anderen Kirchspiele" zusammenarbeiteten und daher von dort allzuleicht von den Ideen der französischen Revolution anzustacheln wären. Er mutmaßte daher, daß die Aufstände nicht so sehr wegen der Neufassung der Kirchenagende erfolgt seien, sondern Zustände wie in Frankreich geschaffen werden sollten. Es gäbe einige, die in der "schlimmsten Bedeutung" bereits die Wörter "Freiheit" und "Gleichheit" in den Mund genommen hätten.

Als eine weitere konkrete Ursache, warum die Unruhen gerade in Ockholm auf so einen fruchtbaren Boden stießen, sah der Pastor im Vorfall mit dem Vater eines "jungen Menschen", den er gleichzeitig mit dem Religionsunterricht einer Konfirmandin in Mathematik unterwies. Dieser Sohn nun mußte seinem Vater, der für "einen sehr feinen Ketzergeruch" bekannt war, alles Abweichende berichten, was er während des Religionsuntericht gehört zu haben meinte. Der Vater war dafür bekannt, daß er auf alles achtgab und aufschrieb, was der Pastor öffentlich äußerte. Als die neue Kirchenagende für den sonntäglichen Gottesdienst in Ockholm eingeführt werden sollte, sah er darin eine günstige Gelegenheit, "mit seinen Ketzereien heranzurücken" und ging mit den Juraten zum Pastor, daß sie und das ganze Kirchspiel von den Neuerungen nichts wissen wollten. Er überreichte dem Pastor "13 ketzerische Sätze", die dieser vor Jahren bei verschiedenen Gelegenheiten gesagt haben sollte. Er verlangte, diese entweder anhand der Bibel zu beweisen oder sie öffentlich zu widerrufen. Carstens erklärte sich anfangs auch dazu bereit, doch als bei der Erörterung des vierten und fünften Satzes ihm unterstellt wurde, er hätte gesagt, "die Kinder wüchsen im Grabe bis zur männlichen Größe", verlor er die Geduld und brach unwillig die Unterredung ab. Es sei ihm unangenehm gewesen, gleichsam vor Gericht gestellt und examiert zu werden.

Es war wiederum dieser Vater, der nach Verkündung der neuen Kirchenordnung mit den 13 Sätzen im Ort herumlief und die Einwohner gegen den Pastor aufzuwiegeln versuchte, mit dem Erfolg, daß an dem Abend eine Menge Leute vor seiner Wohnung standen. Dabei kam ihnen zustatten, daß die Agende auch anderwo großes Aufsehen und Widerspruch erregte. Wenn nicht einige Gutgesinnte hinzugekommen wären, befürchtete Carstens, hätten diese womöglich ihn und auch den Küster aus ihren Wohnungen geworfen oder ihnen wer weiß etwas antun können. Der erwähnte Vater könnte entsprechend den Aussagen vor Amtmann von Blücher gut zu Boy Iversen passen. Daß auch Bahne Nissen, übrigens sein Schwiegervater, sich stark mit der Kirchenagende beschäftigt hatte, beweist ein Exemplar der Kirchenordnung, das mit seinem Namen bezeichnet war und bis vor kurzem im Louisenkoog, im Hof des verstorbenen Dr. Andreas Jensen aufbewahrt wurde.

Weiterer Verlauf der Auseinandersetzungen

Es war vor allem der Umsicht und Einsatz des Pastor Carstens zu verdanken, daß in der Folgezeit die meisten beteiligten Ockholmer nur die Untersuchungskosten ersetzen und eine unbeträchtlichen Summe zugunsten der Ockholmer Armenkasse zahlen mußten. Es war ja ernsthaft vom Amtmann von Blücher ein Esquadron an Militär für eine Strafaktion angefordert worden. Doch die übergeordnete Obrigkeit in Gottorf wollte lieber mäßigend in dieser Angelegenheit vorgehen und Bardenfleth, derVorsteher der deutschen Kanzlei in Kopenhagen, hatte sich schon einige Zeit vorher für eine vorsichtigere Gangart bei der Einführung der neuen Kirchenordnung ausgesprochen. Zu den Vorgängen in Ockholm schrieb er am 15. November 1797 an den Superintendenten Adler: "Hätte das Obergericht nach dem Vorschlag und Verlangen [des] Kammerherrn [von Blücher] 2 Esquadrons Reuter hinausgeschickt, so hätte wahrlich das letztere ärger noch als das erste werden können."

Nach dem Vorfall in Bredstedt vor dem Amtshause waren die meisten der Gemeindemitglieder reuevoll beim Pastor angekommen und wollten sich mit ihm aussöhnen. Es brauchte dennoch Zeit, bis die Gemüter sich beruhigten und die allgemeine Lage sich stabilisierte. Carstens fühlte, daß er den reuigen Ockholmern entgegenkommen mußte und wollte keine weitere Bestrafung verlangen. Doch bedeutete er ihnen, wenn er ihnen auch verziehen hätte, die Tat müßten sie dennoch mit der Obrigkeit ausmachen, er könne sich allenfalls für sie einsetzen. Er schlug vor, wenn sie ein von ihm aufgesetztes Schriftstück unterschrieben und einige Deputierte sich dem "beleidigten Kammerherrn zu Füßen" würfen und ihn um Gnade bäten, wollte er selbst mit ihnen dahingehen und Fürbitte für sie einlegen. Er war davon überzeugt, daß die "Vernünftigen" die Oberhand behalten und alles, wenn die Regierung nicht allzu streng verführe, gut gehen würde.

Die regnerische Witterung und die "abscheulichen" Marschwege hinderten den Pastor jedoch daran, persönlich Fürbitte beim Amtmann einzulegen. Die schriftliche Fürbitte reichte von Blücher nicht. Er wünschte mehr Reue von den eigentlichen Rädelsführern, aber auch von der gesamten Kirchspielsgemeinde. Es gelang dem Pastor bis zum darauf folgenden Sonntag nicht, die geforderten Unterschriften nach der Predigt zusammenzubekommen. Die Ockholmer waren anders als vor acht Tagen gestimmt. Zwischenzeitlich hatten Auswärtige ihnen vorgeworfen, daß sie nachgegeben und sich mit dem Pastor ausgesöhnt hätten. Die Ockholmern hätten von ihnen allen möglichen Beistand bekommen können und sie wären nach wie vor dazu bereit. So hatten die Reden erreicht, daß die Einheimischen wieder trotzig gestimmt wurden.

Der Urheber des "Lärms" trat ebenfalls hervor und behauptete wiederum vor mehr als 50 Menschen, daß es recht wäre, "der Gewalt der Obrigkeit Gewalt entgegenzusetzen, sie hätten keinen Fehltritt begangen". Obwohl er sich vorher wieder mit dem Pastor feierlich ausgesöhnt hatte, warf er ihm vor, er sei am Geschehen allein schuld und er wolle daher, daß er "auch seinen Rock" verlöre. Er machte Ernst und reichte mit seinen 13 Ketzereien tatsächlich Klage beim Flensburger Konsistorium ein, das als Kirchenbehörde der Propstei Bredstedt vorgeschaltet war.

Carstens mußte sich bei dieser Zusammenkunft mit weiteren Argumenten von einigen auseinandersetzen, die ihre Abbitte nur der drohenden Bestrafung und entstehenden Kosten wegen rechtfertigen wollten. Carstens ermutigte sie aber und erwiderte ihnen, daß die Bordelumer, die Bredstedter, die Langenhorner und die Bargumer gemeinschaftliche Sache mit ihnen machten und daher auch die Kosten gemeinsam mittragen wollten. Seine Gegenrede fruchtete jedoch nicht und deshalb ging die Versammlung unverrichteter Dinge auseinander.

Im Brief an den Generalsuperintendenten Adler vom 5. Dezember 1797 kommentierte Carstens diese Haltung so:

"Die Vernünftigen schwiegen aus Feigheit stille und ärgerten sich, die Bösgesinnten lachten, die Wohlhabenden, die auch gewöhnlich die Friedliebenden sind, besorgen den Verlust ihrer Güter, wohl gar ihres Lebens, und sprechen, wie die Leute es haben wollen; die nichts zu verlieren haben, sprechen von Frankreich, die Schwärmer und Fanatiker haben Erscheinungen, Gesichte und Träume."

Er vermutete eine geheime Verbindung und wechselseitigen Beistand der Unzufriedenen unter den anliegenden Kirchspielen. Im Grunde gäbe es nur zwei Wege, um größeres Unglück zu verhüten, so daß keine Nachteile für die gute Sache (gemeint ist die neue Kirchenordnung) entstünden. Er führt in dem Brief weiter aus,

"die Sache ganz ruhen zu lassen und diese Beleidigung zu vergessen, und dies wäre wohl der sicherste Weg; oder wenn die Autorität des Amtshauses nicht zuließe, der entgegengesetzte Weg der völligen Strenge: wenigstens machte im Anfang die Furcht vor Militär sehr geschmeidig."

Gegen Ende des Briefes an Adler schilderte Carstens den Besuch des Ockholmer Kirchspielsgevollmächtigten Paul Ingwersen, der gerade weit gereist sei und ihm versicherte, den Ämtern Tondern, Bredstedt und Husum führe alles nur eine Sprache, "die Sprache des Aufruhrs". Der völlige Aufstand solle zwar erst nach Neujahr, nach der Einführung der Agendentexte erfolgen. Zudem würde überall behauptet, sie sei nicht Königswille, sondern nur ein Einfall der Geistlichkeit, da seine Unterschrift unter der Publikation fehlen würde.

Carstens beendete seine "traurige Schilderung von der Aufklärung der westlichen Küstenbewohner" mit der Frage, wenn Widerwille oder Starrsinn gegen die Agende wirklich so groß wäre, ob es nicht besser sei, zeitig und auf kluge Art nachzugeben, als so viel auf Spiel zu setzen? Es sei doch besser, solange noch heilbar, Schaden vorher zu entdecken. Die "Bewegung" sollte aufmerksam beobachtet und dienliche Mittel zur rechten Zeit angewendet werden.

Am 4. Januar 1798, einige Wochen nach dem Ereignis, kam doch noch eine Liste zustande, die 80 Ockholmer Einwohner unterschrieben hatten. Sie bekräftigten, daß es der Wille sämtlicher Unterzeichneten sei, daß die "Sache höhern Orts" ausgeführt werde, und "zwar in ihrer ganzen Form von Anfang bis zu Ende". Am 3. April 1798 trat das Bonden-Gericht in Bredstedt zusammen, daß das Obergericht in Gottorf verlangt hatte. Niels Christophersen, Sibbern Feddersen und Hans Dethlefsen wurden zu einer Leibesstrafe und zu je 200 Reichstalern verurteilt, die an die Ockholmer Armenkasse zu zahlen waren. Außerdem sollten sich alle zu gleichen Teilen, die unterschrieben hatten, die durch den Aufstand verursachten Kosten tragen. Ein Gesuch, den drei "Deliquenten" die Leibes- und Geldstrafen zu erlassen, wurde am 4. September 1798 abschlägig beschieden.

Die am 17. Dezember 1798 in Gottorf bestätigten Kosten wurden am 7. Januar 1799 für jeden Ockholmer "Subskribenten" und nach den "darauf erwachsenen Rechnungen" auf das Quantum von 8 Mark 8 Schillingen und 8 Pfennigen festgesetzt, zahlbar innerhalb von vier Wochen auf dem Amtshaus in Bredstedt. Das traf die Ockholmer hart, und sie setzten deshalb ein Gesuch an den "Hoch- und Wohlgebohrenen Herrn Kammerherrn, Amtmann und Ritter G. von Blücher" auf und baten um Erlaß oder Linderung der Geldsumme. Sie führten an, daß sie ja "mit Freuden" bezahlten, wenn nicht gerade "Mangel und Dürftigkeit unter uns wie zu Hause" wären. Die traurige Lage und der fast gänzliche Ruin ihres Kirchspiels könnten dem "Ew. Hoch. und Wohlgebohrn" doch nicht ganz unbekannt sein. Auch wenn sie sich unwert gegenüber seiner Güte gemacht hätten, möchte er auf die "Bitten und Wehklagen unserer Weiber" und auf die "unserer nach Brod schreyenden vor Frost starrenden Kinder" hören.

Von Blücher ließ sich erweichen und vermerkte am 11. Februar 1799 in Kopenhagen unter der ihm vorgelegten Unterschriftenliste:

"Ich bin selbst arm und dazu plündert man mich von allen Seiten, bis jetzt habe ich gewiß nicht Uhrsachen Euch Menschen als Gute anzuerkennen. Vielmehr habt Ihr viele Leiden der Seele und des Körpers mir zugefügt - und wer bürgt mir daß Ihr dankbar werdet? aber seelig wer auch Undankbahre macht, ich bewillige euer Gesuch."

Daß Pastor Carstens ihm die Richtigkeit der Abschrift der erwähnten Unterschriftenliste und Vermerk bestätigt hatte, dürfte ein weiteres Indiz dafür sein, daß er maßgebend zum positiven Ausgang für die Ockholmer Einwohnerschaft beigetragen hatte.

Carstens blieb nach dem Ereignis noch etwa drei Jahre Pastor in Ockholm. Er hatte in dem zweiten Brief vom 5. Dezember 1797 an den Superintendenten Adler den Wunsch geäußert, daß er Ockholm gerne den Rücken kehren würde. Er sähe es als einen süßen Trost an, wenn er etwas zu seiner Beförderung beitragen könnte. Nur eine solche Hoffnung beruhigte ihn in diesem einsamen Winkel der Erde, wo er doch ohne teilnehmenden Freund sei. Außer Haus habe er es mit einer unruhigen Gemeinde zu tun und in seinem Haus hätte er mit Krankheiten zu kämpfen.

Johannes Carstens war seit 1792 Pastor in Ockholm. Er wurde am 21. Februar 1767 in Pobüll im Kirchspiels Viöl geboren. Nach seinem Studium in Kiel wurde er am 15. März 1792 in der Kirchengemeinde Ockholm als Pastor gewählt. Er ging um 1800 als Compastor nach Segeberg. Einige Zeit später wurde er Pastor in Warder und starb dort am 8. März 1812.

Die Regierung hatte schließlich aufgrund des Widerstandess eines großen Teils der westschleswigschen Bevölkerung gegen die dem neuen aufgeklärten Zeitgeist verpflichteten Geistlichen eingelenkt. Auf eine gewaltsame Einführung der Kirchenagende war bereits vorher verzichtet worden. Es zeigte sich auch, daß es sich nicht um den Widerstand einer rohen, formbaren und ungebildeten Masse handelte, sondern um einen "fest im Überlieferten wurzelnde Bevölkerung mit einem sicheren Gefühl dafür, daß die rein rationale Aufklärung ihr mit den alten kirchlichen Formen auch etwas von ihrer christlichen Substanz nehmen wollten ."

Diese Beurteilung änderte aber nichts daran, daß vorwiegend materielle und soziale Not für den speziellen Verlauf des Ockholmer Aufstands bestimmend gewesen ist. Wenn zivilisatorische Fortschritte sich in Verbindung mit geistig-rationeller Aufklärung ankündigen, so stoßen diese zwangsläufig auf eine ländliche Bevölkerung, in der noch traditionelle Lebensformen vorherrschen. Da kommt auch beispielsweise in einer von G. von Blücher und P. Brandt unterschriebenen Verfügung vom 9. Oktober 1792 zum Tragen, die im Kirchenarchiv Ockholm vorhanden ist und sich gegen die "Unsitte des Nachtfreiens" wandte. Es heißt dort:

"Wann Ihro Königlichen Majestäten, von dem verstorbenen General Superintendenten Struensee, in seinem zuletzt eingesandten Visitatorial Bericht, allerunterthänigst vorgetragen worden, wie in Ockholm das Nachtfreyen, oder sogenannte Fenstern, im Schwange gehe, und Allerhöchst dieselben solcherhalben an uns zu rehoribiren geruhet, den Eingesessenen daselbst diesen Unfug bey Karrenstrafe zu untersagen.

Als[o] gebieten und befehlen wir, Nahmen Ihro königlichen Majestät, sämtlichen Eingesessenen zu Ockholm, sich des Nachtfreyens, oder sogenannten Fensterns bey Vermeidung unabbittlicher Karrenstrafe zu enthalten, und wird es hiedurch sämtlichen Officialen, des Kirchspiels Ockholm zugleich zur ernstlichen Pflicht gemacht, über die Nachachtung dieses Verboths zu wachen und die Contravenienten beym königlichen Amthause zu Bredstedt zur Bestrafung anzuzeigen."

Hans-Jürgen Hansen


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