Hattstedt


So sah es früher einmal aus um den Bahnhof Hattstedt
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Ein Spaziergang durch Hattstedt
Das Ende der Holzschuhfabrik
Holzschuhe und Beton für ganz Schleswig-Holstein
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Hattstedter Holzschuhe und Beton für ganz Schleswig-Holstein

Ein vergessenes Kapitel nordfriesischer Industrie-Geschichte

Schon lange liegen die Zeiten zurück, daß das Dorf Hattstedt am Rand der Schleswigschen Geest fast ausschließlich bäuerlich geprägt war. Sechs Kilometer nördlich der nordfriesischen Kreisstadt Husum gelegen, hat sich die Bevölkerungsstruktur des Ortes seit den 1960er Jahren entschieden gewandelt. Viele Menschen, die in der Kreisstadt arbeiten, haben sich hier angesiedelt. Zahlreiche Gewerbebetriebe hielten in den vergangenen Jahrzehnten Einzug, um die auf rund 2500 (Stand: 2013) Köpfe angewachsene Bevölkerung Hattstedts, aber auch das Umland mit Waren und Dienstleistungen zu versorgen.

Schon fast vergessen ist heute, daß über sechs Jahrzehnte lang in Hattstedt ein bedeutendes Unternehmen seinen Sitz hatte, dessen Produkte in ganz Schleswig-Holstein und auch Hamburg Abnehmer fand. Es handelte sich um die frühere Holzschuh- und spätere Betonfabrik der Gebrüder Hansen, die nach ihrer Gründung im Jahr 1921 ein umfangreiches Kapitel nordfriesischer, aber vielleicht auch schleswig-holsteinischer Wirtschaftsgeschichte mitgeschrieben hat.

Allerdings beginnt der Werdegang des Hattstedter Betonwerks im Grunde genommen bereits 1907. In diesem Jahr verwirklichte der Maurermeister August Peek aus Husum seine Idee, in der Geestrand-Gemeinde eine Kalksandsteinfabrik zu errichten. Um die "Hartsteinwerke Husum-Hattstedt GmbH" zu gründen, hatte Bauunternehmer Peek sich mit zwei Gesellschaftern zusammengetan, nämlich dem Schmied und späteren Betriebsleiter Karl Rammelsberg und dem Ofensetzer Heinrich Piepgras. Beide stammten ebenfalls aus Husum.

Verschiedene Grundstücke wurden in Hattstedt angekauft. Das Gelände für das Hauptgebäude nebst Produktionsstätte und Unterkünften für die Arbeiter – sie kamen aus dem Raum Lippe –, lag südlich des Hattstedter Bahnhofs. Ferner gehörte zum Werksgelände ein Teil des Mühlenbergs, dessen Sandvorräte ausgebeutet wurden. Beide Areale waren durch eine Gleiszufahrt entlang des Bahndamms verbunden.

Genau gegenüber der heutigen Hattstedter Apotheke (früher Gaststätte Clausen) lagerten die produzierten Steine, die mit einer pferdebespannten Lore von der Fabrik hierher (heute: Bundesstraße 20) geholt wurden. Das Werk wurde wahrscheinlich 1914 stillgelegt. Die Gründe, die zur Schließung führten, sind nicht genau bekannt. Entweder waren die Sandvorräte erschöpft oder das Material war nicht mehr für die Hartsteinproduktion geeignet.

Während der Hungers- und Notzeiten des Ersten Weltkriegs wurde in der verwaisten Fabrik Dörrgemüse produziert. Es soll ein Hamburger Kaufmann gewesen sein, der die umgangssprachlich als "Drahtverhau" bezeichneten Nahrungsmittel für die Frontsoldaten erzeugte. Es handelte sich um ein Gemisch aus Rüben, Wurzeln und Kohl. Alteingesessene Hattstedter berichteten, daß sie als Jungen in die Fabrik eingestiegen seien und Trockengemüse entwendet hätten. Noch bis 1919 soll dort Gemüse gedörrt worden sein.

August Peek verkaufte nach und nach seine Immobilien. Dies sollte die Geburtsstunde eines Industriebetriebs werden, der sich später zu einem der bedeutendsten in dieser Region entwickelte. Der Husumer Holzschuhmacher Johannes Matthias Hansen (1887 - 1967) nutzte die Gelegenheit, den Sprung in die Selbständigkeit zu vollziehen. Er tat sich mit seinen beiden Brüdern Jens Christian und Friedrich Wilhelm Hansen aus dem Hattstedter Nachbarort Wobbenbüll zusammen. Unter Johannes' Federführung - er allein hatte die Holzschuhmacherei erlernt - erwarb das Trio die Produktionsstätte am Bahnhof, um dort das Unternehmen "Sägewerk & Holzsohlenfabrik Gebr. Hansen" zu begründen. Inmitten der schwierigen Inflationszeit schafften die Brüder Maschinen an, nahmen Umbauten vor und richteten sich und ihren Familien Wohnungen im Fabrikgebäude ein.

1921 erschien im "Husumer Wochenblatt" ein Inserat, in dem angezeigt wurde, daß "wir mit dem heutigen Tage in Hattstedt bei Husum eine Kappschuhfabrik u. Sägewerk eröffnet haben". Die notwendigen Facharbeitskräfte hatte man überwiegend aus Husumer Holzschuhbetrieben abgeworben. Friedrich Hansen schied bereits 1924 wieder aus. Sein Bruder Jens ließ sich 1933 oder 1934 seinen Anteil auszahlen. Er arbeitete aber weiter als Angestellter im Büro der Holzschuhfabrik. 1939 verließ Jens Christian Hansen endgültig die Firma.

Unterdessen florierte das Unternehmen. Der geschäftstüchtige Johannes Matthias Hansen erweiterte Mitte der zwanziger Jahre den Betrieb um einen neuen Zweig. Zu der Sohlenproduktion gesellten sich fertige Holzschuhe, außerdem entstand eine umfangreiche Holzsägerei nebst Lohnschnitt. Die Fabrik wurde in "Sägewerk & Holzschuhfabrik Gebr. Hansen" umbenannt.

Was war nun das Besondere an der Holzschuhproduktion in Hattstedt? Es wurden in großem Umfang Holzsohlen zur Weiterverarbeitung wie auch komplette Schuhe gefertigt. Geliefert wurde von Flensburg bis Hamburg, von Föhr bis Preetz, der Hochburg schleswig-holsteinischen Holzschuhmacherhandwerks. So erhielten beispielsweise die Firmen Dahlmeier in Beringstedt, Hamann in Preetz, Hartz in Harburg-Wilhelmsburg und Harder in Hamburg-Altona Holzsohlen aus der Hattstedter Fabrik. Nach 1930 gliederte Johannes Hansen seinem Unternehmen eine Baustoffhandlung an. Außer Stellmacher- und Tischlerholz kamen Dachpappe, Ziegel- und Kalksteine in das Angebotssortiment.

Seit 1936 betrieb Johannes Matthias Hansen zudem einen Großhandel mit Gummistiefeln. Er trug damit dem Umstand Rechnung, daß der Absatz für Holzschuhe rückläufig war. Der Gummistiefel eroberte nach und nach die Landwirtschaft, weil er sich im Stall oder hinter dem Pflug als praktisches Schuhwerk erwies. Diese Entwicklung wurde nur durch den Zweiten Weltkrieg unterbrochen, als die Holzschuhproduktion plötzlich als kriegswichtig galt. Denn die Gummistiefel gingen fortan nicht mehr in die Landwirtschaft, sondern wurden zu Kriegsmaterial. Weil nach 1945 wieder Gummi zur Verfügung stand, erweiterte das Unternehmen seine Produktpalette um filz- und gummibesohlte Haus- und Turnschuhe.

Diese Abteilung richtete Johannes Hermann Hansen (1914 - 2013) ein. Er war der älteste Sohn des Fabrikbesitzers, der zusammen mit seiner Frau Bertha, geb. Borovski (1898 - 1960) zwei Söhne und fünf Töchter auf die Welt brachte. Der neue Produktionszweig konnte sich jedoch nicht halten, weil Kapitalmangel, Währungsreform und verändertes Verbraucherverhalten eine Umorientierung verlangten. Zudem zwang eine schwere Kriegsverletzung den jungen Holzschuhmachermeister, aus dem väterlichen Betrieb auszuscheiden.

Die wirtschaftliche Lage des Unternehmens verlangte nach neuen Ideen. Anfang der fünfziger Jahre begann Georg August Hansen (geb. 1928) - Johannes Matthias Hansens jüngster Sohn und zugleich viertältestes der sieben Kinder - Betonfertigwaren zu produzieren. In seiner Geschäftstüchtigkeit dem Vater ebenbürtig, leitete Georg Hansen nach 1959, dem Jahr, als er die väterliche Fabrik übernahm, den systematischen Aufbau des neuen Betriebszweiges in die Wege. Die Zeit der Holzschuhe war endgültig vorbei. Binnen kurzer Zeit erholte sich das Unternehmen, expandierte und entwickelte sich zu einem ernsthaften Konkurrenten auf dem Betonmarkt.

Als ihm die Hattstedter Gemeindevertretung die weitere Ausdehnung seiner Fabrik untersagte, gründete Georg August Hansen ein weiteres Betonwerk in der Gemarkung Mielberg zwischen Jagel und Kropp. Es nahm 1970 seinen Betrieb auf. Fortan nannte sich der Hattstedter Betrieb "Gebr. Hansen Betonwerke".

Die Betonproduktion hatte angesichts des Autobahnbaus und der Olympischen Wasserspiele 1972 in Kiel-Schilksee Hochkonjunktur. Im olympischen Jahr tat sich Hansen mit seinen Konkurrenten Schröder, Heide, Siemsen, Eckernförde und Thaysen, Flensburg (später Berding) zusammen. Von nun an hieß die Fabrik "Gebr. Hansen GmbH und Co. KG". Drei Jahre später verließ Georg August Hansen das Unternehmen.

Die 1974 einsetzende wirtschaftliche Rezession setzte auch dem Hattstedter Werk kräftig zu. Ein Umzug in das Hattstedter Gewerbegebiet, der um 1980 die unternehmerische Situation verbessert hätte, scheiterte ebenso wie die Ansiedlung im Husumer Industriegebiet. Da es für die Firmeninhaber unwirtschaftlich war, beide Fabriken zu automatisieren, gab man dem modernen Werk in Mielberg den Vorzug. Betriebsleiter Gerd Feddersen wechselte Mitte 1986 von Hattstedt an seine neue Arbeitsstätte. Zum Jahresende stellte das hiesige Betonwerk seine Produktion ein. Zwar diente das Areal noch einige Zeit als Lagerstätte, aber ein bedeutendes Kapitel hiesiger Wirtschaftsgeschichte hatte sich nach über 60 Jahren geschlossen.

2011 erlosch der Traditionsname "Gebr. Hansen" endgültig. Das Mielberger Werk "Gebr. Hansen GmbH und Co." produziert seitdem unter der Bezeichnung "Berding Beton".

Das weitere Schicksal der Fabrik ist schnell erzählt. 1992 erwarb die Gemeinde Hattstedt das Areal, um es zu sanieren und großenteils in ein Baugebiet umzuwandeln. Das Haupt- und Wohngebäude der ehemaligen Holzschuh und Betonfabrik wurde im September 1999 abgerissen. Nur der alte Walnussbaum steht noch da. Aber nicht alle Altanlagen wurden abgebrochen. Einige Hallen blieben erhalten. Sie werden heute von Gewerbetreibenden genutzt.

Dem übrigen Teil des Geländes ist nicht mehr anzumerken, daß dort einstmals ein bedeutender Industriebetrieb ansässig war. Es wurde komplett überbaut: Heute prägen Einfamilienhäuser am Mittelweg und am Meiereiweg, umgeben von ihren Gärten, das örtliche Bild.

Ab 2003 erinnerte an die ehemalige Hattstedter Holzschuhfabrik eine Halbvitrine in der Ausstellung "Das Land zwischen den Meeren". Sie wurde im Volkskunde-Museum Schleswig gezeigt. 2012 wurde die Schau und damit die Vitrine durch eine andere Ausstellung ersetzt.

Text: Hans Jürgen Hansen, Holger Sethe
Fotos: Dorfarchiv Hattstedt, Hans-Jürgen Hansen, Holger Sethe
Alle Rechte vorbehalten

(Erstellt am 16.07.2003, aktualisiert am 08. 09. 2015)

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